AUF IRISCH GEDACHT
: Jeder gafft jeden an

■ Geld machen ist nicht einfach, Spaß haben noch weniger

6 Uhr morgens, die Lichter gehen an, Erwachen — aah —, U-Bahn, S-Bahn, Bus, Autos, Qualm — aah! »Tschuldigung, wo geht's nach ...« »Um wieviel Uhr wird geschlossen?« »Watt'n«, »Autsch« — »Tschuldigung — Was?«, »Tschuldige«, »Ich versteh gar nichts«, »Hä?«, »Rot-Grün-Gehen?«, »Aua«, »Tschuldige«, »Kannst du dich nicht hinten anstellen?«, »Ich will nach Hause!!! Bloß nach Hause!« Autos, Busse, U-Bahnen, S-Bahnen, Gestänke — »Ugh«, »Aah«, »Wie wärs mit uns beiden, Schätzchen?«, »Tschuldige ...?« — Berlin — Türken, Polen, Tschechen, Jugoslawen, Italiener, Schwarze, Hippies, Punks, und noch mehr Punks, englische Soldaten, american GIs, Skins, Bullen, Kontis. Hunde, Hunde, überall: weiße Hunde, kleine Hunde, große und uniformierte Hunde. Die Stadt der Kebabs, Minipizzen und Tausender Biere: Schultheiss, Kindl, Warsteiner, yeah, yeah, yeah. Die Farben, der Speed, die Autos, erdrückender Dunst und ich. Ich kam in diese Stadt, ich weiß nicht mehr, warum, vielleicht Abenteuer und Liebe. Irgendwie erwartete ich Europas Antwort auf New York. Beim Durchschlendern der Straßen Berlins befällt dich eine ungekannte Verwirrung, gegen die sich zu wehren fast unmöglich erscheint.

U-Bahn »Südstern«. Was für ein Geruch. Ich beobachte, und zu meiner Überraschung bin ich nicht der einzige, der beobachtet — jeder gafft jeden an. Komisch eigentlich, denn da, wo ich herkomme, konzentriert sich das Gaffen auf das Gesicht, die Haare, den Mund und vor allem die Augen; hier aber scheinen es die Füße, die Schuhe und die Beine zu sein. Erkennen die mich an meinen Schuhen?

Gneisenaustraße. Vier Männer in blauen Uniformen mit ihren Maulkorbbestien marschieren auf. Sie erwecken den Eindruck, ein Massaker zu erwarten. Sie checken mein Ticket, schauen mich an, und gehen weiter. Ihre Hunde, knurrend und sabbernd — all over the place — bringen alte Damen zum Weinen, Babies zum Schreien. Mehringdamm. Ein Mann steigt ein und setzt sich neben eine junge Frau. Er sieht unangenehm aus und bestätigt das, als er beginnt, das Mädchen zu belästigen. Sie ist ziemlich fertig, springt auf und geht zur Tür. Tränen rollen über ihre Wangen. Ich versuchte, ihm mein Mißfallen über seine Tat deutlich zu machen, aber er verstand mich nicht. Das schlimmste war: alle anderen starrten auf ihre Schuhe.

Bus zum Ku'damm. Jeder versucht, hart sein Geld zu machen oder Spaß zu haben. Geld zu machen ist hier nicht einfach. Spaß zu haben noch weniger. Entspannung ist kurz-hastig, Currywurst und Kaffee verschwinden im Rachen und weiter geht's. Auf meinem Heimweg nach Schöneberg sehe ich diese Demonstration gegen hohe Mieten. Etwa 300 bis 400 Menschen halten Plakate und Fahnen, und alles scheint friedlich. Dann einige Polizisten in voller Kampfausrüstung — und ehe ich mich versah, waren da Hunderte Waffen, Stöcke und Wannen. Die friedliche Demonstration mit Kindern, Familien, Jungen und Alten »geschützt« durch eine Anzahl Polizisten, die ausreichen würde, den 3. Weltkrieg zu verteidigen oder zu beginnen. Ich bin froh, unversehrt aus diesem Krieg herausgekommen zu sein. Das war mein erster Tag in Berlin — zehn Monate später bin ich noch immer verwirrt. Davog Rynne