Pekingmenschen in New York

Peking (taz) — „Pekingmenschen in New York“ heißt der neue Soap- Opera-Hit in Chinas Hauptstadt. Die moraltriefende Geschichte über das Böse in der westlichen Zivilisation lief als Serie in den Lokalzeitungen und wird jetzt über das Radio landesweit ausgestrahlt.

Die Story schildert die Erlebnisse eines chinesischen Paares, das sich aufmachte, ein neues Leben in den USA zu beginnen — doch das Drama beginnt bereits, als sie den Fuß auf amerikanischen Boden setzen: Ihr Gepäck wird gestohlen. Im weiteren Verlauf sind sie mit Drogenmißbrauch, Glücksspiel und Korruption konfrontiert — um am Ende, mit der Entführung und Ermordung ihrer Tochter, den Höhepunkt des amerikanischen Horrors zu erleben.

Pekings Zeitungsleser haben die schlüpfrige Gruselgeschichte begierig aufgesaugt, auch wenn sie von ihrer Botschaft keineswegs überzeugt sind: Das Leben im Westen mag kein Zuckerschlecken sein, sicher aber scheint ihnen, daß es so finster wohl doch nicht ist.

Die Serie verfolgt zwei Absichten: Zum einen soll sie Auswanderungswillige an ihrer Absicht zweifeln lassen, in den Westen zu ziehen, denn in den vergangenen Jahren haben viele Studenten, aber auch Arbeiter jede Möglichkeit genutzt, China zu verlassen. Zum anderen wird die Seifenoper als schweres Geschütz gegen die angeblichen Vorteile des Kapitalismus in Stellung gebracht, die Sicherheiten des chinesischen Systems dagegen in den wärmsten Farben gepinselt: Wohnung, Arbeit und freie Gesundheitsvorsorge.

„Pekingmenschen in New York“ ist voll von Parolen wie der Aussage: „Ich habe gehört, daß es in diesem Land wenig Menschenwärme gibt — jetzt weiß ich es.“ Als die Tochter das Haus verläßt und die Eltern die Polizei um Hilfe bitten, erfahren sie von den Beamten, daß Kinder über 18 Jahre nach dem Gesetz nicht gezwungen werden können, im Haus der Eltern zu leben. „Verdammte Menschenrechte“, kommentiert der Vater die Auskunft.

Autor der Serie ist Cao Guilin, der vor zehn Jahren in die USA auswanderte — seine Geschichte ist allerdings nur halb autobiographisch, Mister Cao wurde ein erfolgreicher Geschäftsmann, seine Tochter lebt und ist guter Dinge.

Für den Fall, daß die Leser die Botschaft der Seifenoper nicht ganz ernst nehmen, bringt die chinesische Presse nahezu täglich Berichte wie „Der Tod der Wang Xiaoling“ — die Geschichte einer chinesichen Studentin, der beim Studium in Tokio das Geld ausgeht und die sich verzweifelt vor einen Zug wirft. Den Lesern wird versichert, daß es sich garantiert um die Wahrheit handelt. Die Zeitung 'Peoples Daily‘ veröffentlicht regelmäßig ähnliche Propagandaanschläge — wie etwa den Bericht eines Chinesen, der den Horror schildert, wenn einem ein britischer Zahnarzt vier Zähne zieht. In einer anderen Story muß ein Besucher in Belgien erfahren, daß sein verstorbener Bruder beerdigt wurde, bevor ihm die letzte Ehre erwiesen werden konnte. Von Freunden hört der Besucher eine eindeutige Botschaft: „Europa ist eine materialistische Welt, wo Gefühle nur so dünn wie Papier sind. Wir sind seit zehn Jahren hier und fühlen uns wie ein Sandkorn in der Wüste... Du solltest zurück nach China gehen.“ Catherine Sampson