Suche nach der neuen Bonanza

Für TV-Handlungsreisende gings nach Cannes: MIPCOM '91 — Fernsehmarkt von Weltrang  ■ Von Christina Kallas

Wenn statt in die Augen auf die kleine Dienstmarke geschaut wird, wenn bis in die Morgenstunden hinein Visitenkarten (wenn möglich mit japanischen Schriftzeichen auf der Rückseite) ausgetauscht werden und wenn sich alle Menschen zur Begrüßung herzlich umarmen, dann weiß man bescheid: Man befindet sich auf einem internationalen Fernsehmarkt. So einer ist die MIPCOM, die jeden Oktober für fünf Tage mehr als 8.000 Fachleute der Fernsehbranche aus über 80 Ländern für „intensive business“ nach Cannes anlockt. Zusammen mit dem Frühlingsmarkt MIP-TV werden da jedes Jahr die wichtigsten Geschäfte abgeschlossen: Einkäufe, Verkäufe und Koproduktionen.

Vor allem Koproduktionen sind in aller Munde: Seit die Deregulierung der internationalen Fernsehlandschaft einsetzte, die durch mehr und mehr Kanäle einen verstärkten Programmbedarf verursacht und die Produktionskosten ins astronomische steigen, suchen alle Produzenten, Vertriebsleute und Fernsehredakteure nach Partnern. Und dies auch außerhalb der Joint-ventures wie die Europäische Produktionsgemeinschaft, die sieben Fernsehanstalten zur Herstellung und Verwertung von gemeinschaftlichen Produktionen miteinander verbindet: ZDF, Antenne2, Channel4, RAI, RTVE, ORF und SRG.

Immerhin hat diese Produktionsgemeinschaft mit Euro-Cops den vielleicht größten gesamteuropäischen Flop hergestellt. Durch vielerlei Geschmacksrichtungen, wie dies bei der Koproduktion oft der Fall ist, wächst die Gefahr der niedrigen Qualität, die solche „Euro-Puddings“ kennzeichnet.

Durch den Zusammenschluß von Koproduzenten aus verschiedenen Ländern sind höhere Budgets möglich, als sie die nationalen Fernsehbranchen kennen, und auch der internationale Absatz scheint von Anfang an gesichert zu sein. Weil zur diesjährigen MIPCOM Anwälte, Finanziers und Studiobosse anreisten, die ansonsten nur zum Filmfestival nach Cannes kommen, meinen Beobachter eine Umfunktionierung des Marktes zu erkennen: Es wird nicht mehr mit fertigen Programmen, sondern mit noch zu finanzierenden gehandelt.

Zum ersten Mal fahndeten auch die Amerikaner verstärkt nach Koproduzenten, vor allem aus europäischen Ländern. Erstmals sah man die Produktionschefs der großen US- Fernsehanstalten in Koproduktionsverhandlungen mit europäischen Produzenten: ein rares Bild in der Vergangenheit, waren doch die Europäer bisher nur als Einkäufer gefragt.

Silvio Berlusconi, der den Titel „Man of the Year“ erhielt, stellte seine neue TV-Produktionsfirma ReteItalia Productions vor. Eine Firma, die angeblich zwei Drittel ihres 100 Millionen Dollar schweren Jahreskapitals in die Koproduktion mit europäischen und US-Partnern stecken soll.

Für die, die mit solchen Mogulen (noch) nicht konkurrieren können, war auch diesmal Euro-Aim zuständig. Ein Projekt des EG-Programms Media 95, das etwa 48 Firmen aus allen EG-Ländern miteiander verbindet. Nach einer Zeit interner Konflikte ist die Organisation bei dieser MIPCOM mit neuer Kraft erschienen. Mit dem gemeinsamen und größten Messestand sowie bezahlten Einladungen zu Screenings in Belgien und Donostia, versucht Euro- Aim den kleinen und mittleren Produktions- und Vertriebsfirmen den internationalen Markt zu öffnen.

Auch von Rezession war auf der MIPCOM die Rede. Die britisch- amerikanische Consolidated, die sich auf den internationalen Markt ausgerichtet hatte und in vergangenen Märkten mit großem Aufwand (und einer Yacht an der Croisette) aufgetreten ist, hat kürzlich Konkurs gemeldet: Andere werden folgen. Die allgemeine Euphorie der Achtziger, die viele zu risikoreichen Schritten und in die Verschuldung geführt hat, ist nun auch in dieser Branche endgültig vorbei. Der Markt wird anscheinend gefiltert und einige wenige werden überleben: diejenigen, die großes Programmvolumen produzieren und vertreiben und die Spezialisten.

Das einzige Land, das von der Rezession nichts gemerkt zu haben scheint, ist Japan: Dessen Einkäufer waren überall und kauften alles! Man sagt, daß der asiatische Markt in den Neunzigern die Rolle des europäischen der Achtziger übernehmen wird.

Die Europäer treten heutzutage im allgemeinen leiser auf: Die Briten, da erst in den nächsten paar Wochen die Entscheidung fallen wird, welcher der ITV-Sender seine Senderlaubnis behalten darf. Und die Franzosen wegen der Beibehaltung der Fernsehquoten, die eine Verlängerung ihrer Isolation auf dem europäischen Markt bedeutet.

Wenig Neues gibt es im Osten: Die Fernsehanstalten sind nach wie vor arm und die einzige Hoffnung scheint das Barter-System zu sein, wobei branchenfremde Firmen den Einkauf oder die Produktion von Programmen finanzieren, um sie anschließend mit der Werbung ihrer Produkte zu verzieren. Bei der minimalen Kaufkraft der Bürger in den Ost-Ländern setzt sich allerdings auch dieses System schwer durch.

Trends der MIPCOM: Der Video-Markt expandiert. Jugendfilme und Fernsehspiele gelten als die beliebtesten Programme. Vorsicht: Wenn man von Fernsehspielen spricht, dann meint man nicht etwa das Kleine Fernsehspiel, sondern die mit hochkarätiger Besetzung und großen Budgets.

Die Mini-Serien, die in den letzten Jahren absolut „en mode“ waren, werden jetzt verachtet, weil sie teuer sind und in der Regel das Interesse des Publikums über mehrere Abende hinweg schwer wachzuhalten ist. Dafür sind längere Serien mit 60minütigen Folgen und ausreichendem Verlängerungs-Potential bei Publikumserfolg gefragt: Davon gibt es, mit Ausnahme von Derrick, der fast überall in Europa großen Erfolg erlebt, nicht viel auf dem Markt.

Als inhaltlichen Trend kann man vor allem den des Faction (Fact + Fiction) erkennen. Es handelt sich dabei um wahre Geschichten, die fiktionalisiert werden.

Im großen und ganzen sucht man auf so einem Markt vor allem nach den Programmen, die international verkaufbar sind. Man spricht gerne von den größten Hits aller Zeiten, nämlich Bonanza. Eine Serie, die im Laufe ihrer Karriere in 148 Länder verkauft wurde und The Muppet Show, die in 126 Länder kam. Im letzten Jahr gehörten zu den größten internationalen Hits (wie immer) ausschließlich US-Serien wie die Turtles, L.A. Law, Twin Peaks und die Simpsons. Man sagt, daß ein Programm, das sich auf den schwierigen Märkten von Japan und Frankreich verkaufen konnte, überall absetzbar ist. Man sagt auch, daß Komödien schlecht „verreisen“ können. Und auch wenn man es bisher nicht auszusprechen wagte: Dies trifft auch für europäische Programme zu. Christina Kallas

Die Autorin ist Geschäftsführerin der Berliner Firma „The Coproduction Office“ und war für die griechische Zeitung 'Vima‘ tätig, die mit uns für 'World Media‘ zusammenarbeitet.