Füße im Feuer

■ Das neue Solokabarett von Matthias Beltz

Samstag: Wie ein Spruchband früherer Tage, eine unerschütterliche Weisheit verkündend, schwebt die zentrale Botschaft im schwarz ausgeschlagenen Bühnenraum. Samstag ist der Tag des Unheils. Der Tag, an dem es passiert.

Ausgerechnet an einem Samstag, „dem Faschisten unter den Wochentagen“, hat Gott den Menschen geschaffen. Bis heute liegt ein Fluch auf diesem letzten Arbeitstag des Schöpfers. Seit der gewerkschaftlichen Durchsetzung der Fünftagewoche ist der Samstag zum Tag der Rache an der übrigen Zeit geworden. Er soll für die Schmach tagtäglich ungelebten Lebens geradestehen, Frust in Lust verwandeln und Knechtschaft in Freiheit — er muß für die bittere Wahrheit menschlicher Existenz zwischen Montag und Freitag büßen: „Das Leben ist ein Minenfeld, und wir sind die Granaten“, sagt Beltz und verweist damit Hape Kerkelings Bekenntnis: „Das ganze Leben ist ein Quiz, und wir sind bloß die Kandidaten“ in das Reich gemeingefährlicher Verharmlosung. In Wirklichkeit ist alles viel schlimmer.

Doch bevor das geschichtsphilosophische Samstagstheorem näher geprüft werden kann — auch der jüngste Putsch in der Sowjetunion wurde an einem Samstag beschlossen —, hat Beltz längst seine berüchtigte intellektuelle Asservatenkammer geöffnet. In atemberaubendem Tempo und loser Folge entweichen daraus: ein lispelnder Feldmarschall aus Frankfurt-Sachsenhausen, das Ende der Basaltzeit, ein durchgeweichtes Erdbeertörtchen, ungenießbar wie der Sozialismus — oben rot, unten faul —, eine bestialisch hustende, aber weise Großmutter — „Füße warm, Kopf kalt, so wirst du hundert Jahre alt“ —, der Beginn des Vulkanzeitalters, schwarze Sheriffs im Wohnzimmer, das Glück des endlich gelingenden Wasserabschlagens an der Autobahn und die Vereinigung von Mutterrecht, Blutrache und Marktwirtschaft in Gestalt der Berliner „Treuhand“.

Beltz philosophiert im Dada- Rhythmus einer Wirklichkeit, die längst jede Ideologiekritik, jede gesellschaftskritische „Entlarvung“ und Persiflage hinter sich gelassen hat. Um nicht selbst dem Schicksal linker Gesellschaftsveränderung „von der Utopie zur Autopsie“ zu verfallen, hat er seine kabarettistische Methode des anarchistischen Dekonstruktivismus radikalisiert. Er verzichtet nahezu völlig auf Rollenspiel und Requisiten und verkörpert allein die kaum verfremdete Figur eines Rechtsanwalts, der dem Publikum über sein Lebensumfeld zwischen Affentorplatz und Schifferstraße Bericht erstattet.

Die Assoziationen, Metaphern und Axiome — „Mitleid ist die Rache der Feiglinge“ — wechseln ständig die Ebene: von pseudoprivater „oral history“ zum politischen Aphorismus, vom gemeinen Kalauer zur ironischen Abstraktion. Und dazwischen immer wieder trocken servierte Zweizeiler aus der eigenen Schlachtung: Der Vergleich zwischen der 'Faz‘, die sich unablässig „für 1968 rächt“, und der 'Frankfurter Rundschau‘, die immer noch „Rache an 1933 nimmt“, erhellt nicht nur Fanatismus hier und Rückständigkeit dort, sondern auch eherne Gesetzmäßigkeiten des politischen Dschungels, Fixsterne am Himmel des feuilletonistischen Meinungskriegs. Dabei schlägt Beltz keine vergangenen Schlachten, hält weder nostalgisch noch kämpferisch-trotzig Rück- und Nabelschau, bietet weder seichtes Zeitgeistpanorama noch ein vermeintlich „postmodernes“ Sittengemälde feil, weder Gesellschaftskritik im Gewande des Kohl-Witzes noch die liebevolle Persiflage der ehedem linksradikalen „Szene“; er präsentiert ein Pandämonium der Identitäten, des Identischen, das heißt des mit sich selbst übereinstimmenden Wahnsinns.

Der Versuch, mit den Mitteln einer sich selbst jagenden Mimesis des alltäglichen Wahnsinns Spuren der lebendigen Vernunft freizulegen, macht aus der Suada ein Gesamtkunstwerk en miniature, an dem sich nicht nur Kritiker die Zähne ausbeißen. Das Frankfurter Premierenpublikum verließ die neunzigminütige Wortkanonade rat- und sprachlos. Und selbst der Kabarettist bleibt nicht verschont, verschont sich selber nicht. An manchen Stellen des Monologs, die weder eine Pointe noch bewußte Pointenlosigkeit retten können, stößt er an die Grenze seiner prinzipiellen Einsamkeit.

Reinhard Mohr