Jubelgarantie in der „Eerendivisie“

Die niederländische Betriebssportgruppe PSV Eindhoven besiegt Ajax Amsterdam mit 3:2, und die Fans unter der Höhensonne sahen mit PSV-Coach Bobby Robson ein „classical game of football“  ■ Aus Eindhoven Ch. Biermann

Hier jubeln die Fußball-Futurologen, und der Gast wundert sich. „Philips-Stadion“ steht zwar groß an der Außenseite des Gebäudes, aber hier, auf den Velourläufern an der Rezeption, sieht es eher nach einem Treffen des Unternehmerverbandes aus. Stadionbesuch mit Krawattenzwang? Ein soziales Ereignis auch für die Oberschicht? Die Herren im teueren Zwirn, die Gattin in edlen Hüllen, daß ist die Kundschaft, von der auch Bundesligamanager träumen, und in Eindhoven kommen sie zu hunderten.

Aber die „Philips Sportvereniging“ sorgt eben für ihr Klientel. Nicht nur für die Reichen, die im Lift zu verglasten Boxen mit Bildschirm und Getränkeservice fahren, sondern auch für die auf den billigen Plätzen. Nichts wird dem Zufall überlassen, schließlich arbeitet hier ein Weltkonzern. Deshalb muß auch niemand frieren, den unter den Tribünendächern sorgen Heizstrahler dafür, daß nur noch die Spieler vom Wetter reden. Solche Fürsorge hat dazu beigetragen, daß der Verein gut 20.000 Jahreskartenbesitzer begrüßen kann. Für die Angestellten von Philips — und wer ist das in Eindhoven nicht — gibt es zudem besondere Konditionen. Für das Jahresabo ist nämlich monatliche Zahlungsweise möglich. Das wichtigste aber ist: Philips sorgt mit Millioneninvestitionen in die Mannschaft für eine Art Jubelgarantie. Seit 1975 ist die holländische Meisterschaft eine allenfalls zweiseitige Angelegenheit. Nur 1984 mogelte sich noch einmal Feyenoord Rotterdam dazwischen. Die restlichen Titel haben der PSV Eindhoven (8) und Ajax Amsterdam (7) untereinander aufgeteilt. Die restlichen Mannschaften der „Eerendivisie“ stellen nur noch das Fußvolk und hoffen auf Außenseitersiege.

Kein Wunder also, das am Sonntag abend in Eindhoven eines von zwei „Spielen des Jahres“ auf dem Programm stand.

Die 26.500 Plätze im Stadion waren ausverkauft, und jeder dritte Niederländer nahm einen der billigen Plätze ein — vor dem Fernseher. Mit Verspätung übrigens, denn eigentlich sollte das Spiel schon Ende August stattfinden, aber für den Spielplan sind in den Niederlanden neben dem Fußballverband inzwischen auch die Bürgermeister der Städte zuständig. 25 Spiele wurden von ihnen in dieser Saison bislang untersagt, weil sie die Ausschreitungen niederländischer Hooligans und die Überbeanspruchung der Polizei leid waren. „Risikospiele“ sollen nur an Sonntagen ausgetragen werden und auch dann nur, wenn die Polizei der Städte nicht durch andere Aufgaben gebunden ist. So hinken Klubs wie Feyenoord, Uetrecht, Den Haag und vor allem Ajax und PSV schon bis zu vier Spiele hinter dem Rest der Liga her. Und für Ajax war das achte Saisonspiel sogar erst das zweite Auswärtsspiel. Aber weder diese Wirrnisse noch die Belastung eines halben Endspieles schien die Spieler zu beeindrucken. Innerhalb von vier Minuten waren die Zuschauer völlig elektrisiert. Erst scheiterte der sambische Stürmer Kalusha an Amsterdams Keeper Stanley Menzo. Dann rettete sechzig Sekunden später Blind in höchster Not, leitete dabei gleich einen Konter ein und Petterson lief allein auf Hans van Breukelens im Tor des PSV zu, der seinerseits glänzend rettete.

Und die Versprechung dieser Ouvertüre wurde eingehalten. Fast pausenlos lagen beide Mannschaften im Angriff. Ajax spielte ohne Libero und wog das größere Risiko in der Abwehr mit noch schnellerem Spiel in der Offensive auf. Eindhoven hatte vier Angreifer auf dem Platz, die auch wirklich taten, was ihre Arbeitsplatzbezeichnung behauptet. 4:4 oder 5:5 hätte es zur Pause stehen können, meinte nach dem Spiel Ajax-Coach Louis van Gaal, der vor wenigen Wochen Leo Benhakker abgelöst hatte, als dieser zu Real Madrid wechselte.

In Wirklichkeit stand es aber beim Seitenwechsel aber 2:1 für Eindhoven und dafür hatte vor allem einer gesorgt, der in dieser Saison bislang gefehlt hatte: Romario. Der kleine brasilianische Torschützenkönig war mal von geheimnisvollen Beschwerden, mal vom Heimweh geplagt worden und hatte jedenfalls seine „enfant terrible“-Rolle voll ausgekostet. Zum großen Tag war er wieder da und hatte auch seinen großen Auftritt. Beim Steilpaß von Erwin Koeman schüttelte er seinen Gegenspieler Dani Blind, immerhin ein gestandener Nationalspieler, trotz unterlegener Geschwindigkeit, mit zwei kurzen Täuschungen einfach ab und verwandelte zu 2:0.

Der Stürmerstar von Ajax antwortete acht Minuten später: Der 22jährige Dennis Berkamp schoß fast von der Mittellinie hoch ins lange Eck, und wenn es in den Niederlanden ein Tor des Monats gibt, war es das. Aber immer noch waren erst 28 Minuten gespielt. Der ehemalige englische Nationaltrainer Bobby Robson, seit dem Ende der WM in Eindhoven, kam wohl auch wegen dieser Aktion zu dem Schluß, das beste Spiel gesehen zu haben, seit er in den Niederlanden sei. „A classical game of football“, nannte er das, stürmte ganz unenglisch von Superlativ zu Superlativ und lobte den Gegner gleichermaßen überschwenglich. Und er gestand auch ein, das der Abstand zwischen Sieg und Niederlage ganz klein war, denn in der zweiten Halbzeit hatte vor allem Bryan Roy, der Flügelstürmer von Ajax, mal von rechts, mal von links die Abwehr des PSV auseinandergenommen und in der 51. Minute damit auch den Ausgleich von Wim Jonk vorbereitet. Aber das Glück war mit Eindhoven. „Es ist ein Jammer, daß Ajax in einem solch' tollen Spiel durch einen persönlichen Fehler geschlagen ist“, mußte Louis van Gaal am Ende klagen und schaute einfach untröstlich aus.

Da hatte nach knapp einer Stunde Stanley Menzo, der schon seit Jahren darum kämpft, zumindestens zweiter Mann im Nationaltor zu werden, die Flanke von Berry van Aerle eigendlich schon in Händen und ließ den Ball dann doch noch vor die Füße von Kalusha fallen. Und der so beschenkte hatte mit dem Siegtreffer keine Schwierigkeiten mehr.

Auch das große Finale von Ajax und die Generalkonfusion in der Abwehr von Eindhoven kurz vor Schluß änderten an Sieg und Niederlage nichts mehr. Philips hatte seinen guten Service bis zum Schlußjubel komplett erbracht. Die VIP-Boxen entleerten sich zum Après-Kick in den Bordeaux- und Madridsaal, Fußball-Futorologen konnten weiter über die Planbarkeit von Siegen und über Reiche im Stadion philosophieren, der Besucher hingegen freute sich ganz einfach über einen Abend mit europäischem Spitzenfußball.