Der Leitplankenbau kommt zügig voran

Sächsisches Wirtschaftsministerium vermerkt Aufschwung im öffentlich finanzierten Baugewerbe  ■ Aus Dresden Detlef Krell

„Der Ausbau unserer Autobahnen kommt gut voran“, vermerkte der sächsische Wirtschaftsminister Kajo Schommer (CDU) in seinem neuesten „Wirtschaftstelegramm“. Bis jetzt seien 50 Kilometer Fahrbahndecke erneuert und 115 Kilometer Leitplanken gesetzt worden; der zweispurige Ausbau der A72 zwischen Zwickau und Hof laufe auf „vollen Touren“. Schommer ist optimistisch. Auch jenseits der Highway-Planken sieht der Minister „Signale für beginnende Erholung“ — schließlich sei der Aufschwung im Baugewerbe durch die öffentliche Hand deutlich forciert worden. Nicht in die ministeriellen Erfolgsmeldungen aufgenommen wurde dagegen die anhaltende Stagnation im Hochbau, besonders im Wohnungsbau. Dabei hatte selbst der Geschäftsführer des Sächsischen Bauindustrieverbandes, Eckart Roßberg, kürzlich zugegeben, daß „nur in wenigen Fällen“ Wohnungen erstellt werden; der „viel beschworene, aber noch nicht eingetroffene Bau-Boom“ würde noch immer blockiert.

Auch sonst vermittelt die sächsische Industrie keinen rosigen Eindruck. Die kurzzeitigen Umsatzsteigerungen um 3,2 Prozent im Bergbau und Verarbeitenden Gewerbe sackten zu Beginn des zweiten Halbjahres wieder um 2,4 Prozent ab. Im Außenhandel stehen weiterhin wachsende Einfuhren den nach wie vor dünnen Exporten gegenüber. Vor allem die Ausfuhr in die Sowjetunion als größtem Außenhandelspartner des Freistaats schwankt.

Bis Ende Juli lagen in Sachsen rund 44.000 Gewerbeanmeldungen mehr vor, als im Vergleichsraum des Vorjahres. Der Trend ist zwar positiv, da die Liquidationszahlen von Unternehmen nur ein Viertel der Neugründungen ausmachen. Allerdings verraten diese Zahlen wenig über die Wirtschaftsstruktur des einstigen Industrielandes. So stellte der Landesverband der sächsischen Industrie jüngst fest, daß die Unternehmen der metallverarbeitenden Industrie durchschnittlich nur zu zehn Prozent ausgelastet sind. Die Auftragslage im Maschinen- und Anlagenbau, so der Verband weiter, sei „äußerst angespannt“, in der Textilindustrie sogar „dramatisch“. Der Textilindustrie-Verband mußte mitteilen, daß in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen bis zum August dieses Jahres rund 24.400 Arbeitsplätze abgebaut wurden. Ein Aufschwung werde erst erwartet, wenn die über Hermes-Bürgschaften gesicherten Lieferungen in die Sowjetunion beginnen. Doch schon in diesem Jahr können wegen der schleppenden Verwaltungswege voraussichtlich nur ein Viertel der auf 500 Millionen D-Mark veranschlagten Exporte ausgeliefert werden.

Trotz der Irrfahrt weiter Bereiche der sächsischen Industrie hält auch die Arbeitsgemeinschaft Selbständiger Unternehmer die wirtschaftliche Entwicklung für positiv. Neben dem Zuwachs bei Auftragseingängen und der steigenden Zahl von Existenzgründungen seien „eine hohe Motivation und Leistungsbereitschaft“ die Indikatoren für diesen Optimismus. Auf dem Sächsischen Unternehmertag geriet besonders die staatliche Arbeitsmarktpolitik unter Beschuß: Jungunternehmer und selbständige Unternehmer forderten die schnellere Reprivatisierung der sogenannten „72er“, jener 1972 verstaatlichten ehemals mittelständischen Unternehmen. Nur sie können den innovativen, flexiblen Rumpf einer gesunden sächsischen Wirtschaftsstruktur bilden. „Dirigistische und tarifpolitische Fehlentwicklungen“ würden den Existenzgründungen jedoch „unnötig Steine in den Weg legen“.

Noch immer brechen traditionelle Standorte der Industrie zusammen. Allein der Stadt Riesa droht bis Ende des Jahres eine Arbeitslosenquote von 20 Prozent, wenn die Treuhand das schnelle Aus für die Stahl- und Walzwerke AG verfügt. Noch stehen sich dieser „crash course“ und das vom Unternehmensvorstand erarbeitete Konzept einer „stillen Liquidation“ gegenüber. Wie Vorstandsvorsitzender Wolfgang Helm erklärte, wäre bis 1993 die Umwandlung des traditionellen Stahlstandortes in ein heterogenes Industriezentrum konzipiert. Auch die Siemens AG, die in Sachsen 8.000 Menschen beschäftigt, hat eine Reduzierung der Belegschaften angekündigt, wenn die Konjunktur nicht bald anspringt. So bleibt es Zweckoptimismus, wenn aus dem Hause Schommer weiterhin eine Entspannung des Arbeitsmarktes vermeldet wird. Sachsen hat unter den neuen Ländern weiterhin die geringste Arbeitslosigkeit. Der DGB-Landesbeauftragte Hanjo Lucassen korrigierte auf dem Unternehmertag die Rechnung: Er kam auf 700.000, die in absehbarer Zeit auf der Straße stehen könnten. Einer Viertelmillion offiziell Arbeitsloser stehen bislang 93.639 ArbeitnehmerInnen in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen gegenüber. Immerhin sind im September rund 15.000 Arbeitslose durch ABM und 26.000 durch Umschulung vom Arbeitsmarkt geholt worden. Eine Tendenz, an der das Land festhalten will, wie Schommer klarstellte: „In dieser Situation müssen die arbeitsmarktpolitischen Instrumente wie bisher weiter eingesetzt werden. Sie haben sich bewährt.“