Kohl erfüllt sich einen Traum

Der Kanzler zu Besuch in Chile/ 25 Millionen Mark Kredit für den Andenstaat im Gepäck/ Hinter den Kulissen geht es um den Aufenthalt von Erich Honecker bei seiner Tochter in Chile  ■ Aus Santiago Gaby Weber

„Glücklich“ sei er, sich mit dieser Reise einen „Traum erfüllt zu haben“, gestand Helmut Kohl am Sonntag „seinen lieben Landsleuten“ in Santiago. Vor der versammelten deutschen Kolonie — Schule, Feuerwehr und Burschenschaften — hielt der Bundeskanzler im „Colegio Aleman“ seine Antrittsrede. Die Frühlingssonne strahlte, der Kinderchor intonierte Hermann-Hesse-Verse, das Orchester der Carabineros Rucki-Zucki, und eingeflogene Laugenbrezeln, Aalschnittchen, Käsehäppchen, Rheinpfälzer und die unvermeidlichen Bierströme führten germanisches Kulturgut vor. „Menschenrechte“ und „Demokratie“ nahm der Pfälzer Kanzler nicht in den Mund, das Publikum ist in diesen Punkten empfindlich.

Grund des dreitägigen Staatsbesuchs, so steht es im offiziellen Programm, ist die Pflege der traditionell guten Beziehungen zwischen den beiden Staaten. Einen Ehrendoktorhut bekommt Kohl verpaßt. Er besucht das Weingut concah y toro und den Kongreß in Valparaiso und unterzeichnet zwei Verträge über finanzielle Zusammenarbeit und Investitionsförderung. Darin werden dem Andenstaat für das laufene Jahr ein 25-Millionen-Mark- Kredit für Gesundheitsprojekte zur Verfügung gestellt sowie Investoren freier Kapitalverkehr, Gleichstellung mit inländischen Unternehmern und Schutz vor Enteignung garantiert.

Die lokale Presse zeigte an seinem Besuch wenig Interesse, nur Volkswagen grüßte in großen Anzeigen den „Führer der Europäischen Gemeinschaft“. Die Deutschen kommen spät. In den letzten zehn Jahren investierten sie gerade 100 Millionen Dollar — „sehr wenig“, beschied die konservative Tageszeitung 'Mercurio‘. Die Rosinen der chilenischen Volkswirtschaft sind längst von japanischen und US-Investoren herausgepickt worden.

Das eigentlich Spannende wurde hinter den Kulissen verhandelt. Erich Honecker hatte wiederholt bekundet, seinen Lebensabend bei seiner Tochter Sonja in Conception zu verbringen, die mit einem chilenischen KP-Funktionär verheiratet ist. Ehefrau Margot war vor zwei Wochen in den Andenstaat gereist, um mit der Aylwin-Regierung über eine Aufenthaltserlaubnis zu verhandeln. Interessiert an einer endgültigen Lösung, so heißt es in Santiago, sei vor allem die sowjetische Führung, die den alten Mann gerne übers Meer schicken wolle, denn eine Auslieferung des ehemaligen KZ-Häftlings an Bonn sei selbst dem Kreml zu starker Tobak.

Die Regierung in Santigo hält sich bedeckt. Der mit Haftbefehl gesuchte Honecker besitze keinen gültigen deutschen Reisepaß für die Einreise, und es liege bisher kein Antrag auf Erteilung eines Visums vor, hieß es. Lediglich der sozialistische Minister Enrique Correa kündigte im vorverlegten Gehorsam an, man werde tun, „was Deutschland fordert“. Seine Partei lege ein „beredtes Beispiel über schlechtes Gedächtnis“ ab, urteilte die Zeitschrift 'Punto Final‘ und erinnerte daran, daß während der Diktatur die gesamte sozialistische Parteiführung Gastfreundschaft in Ost-Berlin genossen hatte: Clodomiro Almeyda, heute Botschafter in Moskau, Senator Ricardo Nunez und der frühere Sozialistenchef Carlos Altamirano, der sein Leben den diplomatischen Bemühungen der DDR verdankt. Die Chancen für Honeckers Aufnahme stehen dennoch nicht schlecht. Ehefrau Margot reiste offensichtlich zuversichtlich, elf Stunden nach Kohls Eintreffen in Santiago, zurück nach Moskau. Honecker könnte mit einem sowjetischen Flüchtlingsausweis einreisen, und zwischen Bonn und Santiago existiert kein Auslieferungsvertrag. Wenn die Bundesregierung einen entsprechenden Antrag stellt, muß der Oberste Gerichtshof entscheiden. Und dort gibt es einen Präzedenzfall.

Die Corte Suprema und die christdemokratische Frei-Regierung hatten in den sechziger Jahren die Auslieferung des NS-Verbrechers Walter Rauffs stets abgelehnt. Der frühere Chef der fahrbaren Gaskammern, in denen in der Ukraine, Polen und Jugoslawien über 100.000 Menschen mit Auspuffgasen ermordet wurden, war nach Kriegsende von der CIA in einem italienischen Konvent versteckt worden und kam 1958 nach Chile.