INTERVIEW: „Wir Kurden setzen auf den Dialog“
■ Zübeyir Aydar, neugewählter kurdischer Abgeordneter der „Sozialdemokratischen Volkspartei“ (SHP), über das Stimmverhalten der Kurden und die Fundamentalisten
taz: Im Westen ein totales Fiasko für die Sozialdemokraten, ein genereller Rechtsruck, während in den kurdischen Gebieten kurdische Kandidaten auf sozialdemokratischen Listen das Rennen gemacht haben. Polarisiert sich die türkische Gesellschaft auf ethnischer Grundlage?
Zübeyir Aydar: Es sieht ganz danach aus. Wenn die Unterdrückungspolitik des türkischen Staates fortgesetzt wird, wird noch viel Blut fließen. Die Wahlergebnisse in Kurdistan unterscheiden sich von den Ergebnissen in der Türkei. Der Wahlerfolg der „Sozialdemokratischen Volkspartei“ in den kurdischen Gebieten ist Resultat ihres Bündnisses mit der kurdischen „Arbeitspartei des Volkes“ (HEP), die ja nicht zu den Wahlen zugelassen wurde. In Kurdistan verfügen die Sozialdemokraten über kein Stimmenpotential. Der Wahlerfolg hier ist ein Erfolg der kurdischen Nationalbewegung. Auf der anderen Seite sehen wir, daß im Westen der Türkei eine anti-kurdische Allianz gewonnen hat.
Der Abgeordnete Nurettin Yilmaz hat behauptet, daß die für die „Sozialdemokratische Volkspartei“ (SHP) abgegebenen Stimmen in Wirklichkeit Stimmen für die PKK, die „Arbeiterpartei Kurdistans“, die einen Guerillakrieg führt, sind...
Mag sein. Die Stimmen zeigen die Basis der Nationalbewegung, nicht die Basis der „Sozialdemokratischen Volkspartei“.
Mit welchem Programm ziehen Sie nach Ankara?
Ich bin nicht allein. Wir sind eine Gruppe kurdischer Abgeordneter. An allererster Stelle steht der Kampf für Demokratie. Der Ausnahmezustand muß aufgehoben werden, das Existenzrecht der Kurden muß endlich anerkannt werden, der Krieg muß gestoppt und ein Waffenstillstand vereinbart werden, damit nicht weiter unnötig Blut fließt. Wir setzen auf Dialog statt Krieg.
Aber die Wahlen zeigen doch, daß anti-kurdische Kräfte im Westen an Einfluß gewonnen haben und die Politik bestimmen werden. Glauben Sie daran, daß der Bürgerkrieg kurzfristig beendet werden kann?
Letztendlich schadet doch die Kurdenpolitik dem Land. Lange kann das nicht mehr so gehen. Es bedeutet nicht nur Leid für das kurdische Volk, sondern auch für die anderen Völker der Türkei. Man muß endlich vernünftig werden.
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