»Würden Sie einem Türken 1.000 Mark anvertrauen?«

■ Das türkische Theater Tiyatrom ändert aufgrund der wachsenden Ausländerfeindlichkeit seinen Spielplan/ Geprobt wird zur Zeit frei nach Goldoni »Der Türke zweier Herren«

Mein Theater« — das ist die prosaische Übersetzung des sehr viel klangvolleren türkischen Wortes »Tiyatrom«. Seit 1984 existiert diese freie türkische Theatergruppe in Berlin, mehr als 20 Produktionen sind entstanden. Bislang hat die Truppe ausschließlich mit türkischsprachigen Darstellern und Regisseuren gearbeitet, doch seit einiger Zeit will man sich für neue Ideen und Anregungen öffnen. Ein befreundetes türkisches Kabarett-Theater vermittelte ihnen den deutschen Regisseur Ralf Milde. Früher war er Assistent bei Pina Bausch und Schauspieldirektor in Bern, heute frustiert ihn der Stadttheaterbetrieb derart, daß er sich ins Ausland zurückzieht und nur noch für ihn interessante Projekte annimmt. Das Tiyatrom-Theater konnte ihn für eine Inszenierung von Arthur Millers Blick von der Brücke gewinnen. Und da gutes Theater flexibel ist und schon mal auf aktuelle Ereignisse reagiert, wurde im Zuge der verschärften Ausländerfeindlichkeit schnell umdisponiert: das Ensemble samt Regisseur probt jetzt — eine Komödie!

Der Türke zweier Herren frei nach Carlo Goldoni soll »nichts anbrennen lassen über das Verhalten der Deutschen.« Die Figuren aus dem Venedig des 18. Jahrhunderts werden ins heutige Berlin versetzt: Truffaldino, die Hauptfigur, der Diener zweier Herren, bringt durch seine Naivität und Tapsigkeit allerlei ins Rollen und arrangiert zum Schluß zwei Ehen. Bei Tiyatrom heißt er Satilmis, ein türkischer Kosename für eine Witzfigur, zu deutsch: »schon verkauft«. Arglos bewegt er sich zwischen den jovial witzereißenden und dabei immer rassistischen Deutschen und riskiert, ins offene Messer zu laufen. Denn sein Gegenspieler Helmut ist Neonazi und Skin. Silvio heißt die Rolle im Original, ein etwas bläßlicher, schmächtiger Jüngling, der seiner Geliebten zeitweise mißtraut, sie aber am Ende doch heiraten darf. Wer mit diesem Schluß noch nie besonders glücklich war, darf sich freuen: in Ralf Mildes Inszenierung kriegt er sie nicht. Clarice/Hannelore schnappt sich — zum Entsetzen ihres Vaters — einen Zigeuner. Helmut, feige und dumm, hat das Nachsehen und — zumindest vorläufig — nichts mehr von seinen Sprüchen von deutscher Ehre und deutschem Blut.

Auch wenn Helmut die extremste Figur abgibt, so ist er für das Ensemble beileibe nicht die gefährlichste. Auf den Skin ist zumindest Verlaß: da weiß man, was man hat. Schlimmer ist der latente Rassismus, der sich bei den übrigen Figuren bemerkbar macht. Nach außen kotzfreundlich und sozialliberal, rutscht so manchem ein ungewolltes »Sind Sie Ausländer?« heraus — der running gag der Inszenierung, der nach kurzem Beschnüffeln mit einem erleichterten »Wie gut, kein Ausländer in Deutschland zu sein« endet. Keine Gelegenheit wird ausgelassen, Satilmis bildlich und buchstäblich zu treten und zu piesacken, ihn, der doch eigentlich nur ganz elementare Bedürfnisse hat — besonders quält ihn die Frage, wann er das nächste Mal etwas zu essen bekommt.

Der strahlende Held ist Satilmis nicht. Und soll es auch gar nicht sein. Genau wie bei Goldoni arrangiert er folgenreiche Ereignisse durch Unwissenheit; er ist nicht kompliziert und läßt sich auch nicht einschüchtern. Durch Selbstironie stellt das Ensemble die Seite der Betroffenen dar, ihre eigene Seite also: eine der Figuren bedauert zynisch, daß das Erschlagen von Ausländern in Deutschland noch nicht straffrei sei. Und eine andere fragt rhetorisch ins Publikum: »Würden Sie etwa einem Türken tausend Mark anvertrauen?«

Das Tiyatrom-Theater möchte kein verbissenes, verweintes Polittheater machen, sondern über das Lachen, über die Komödie auf die Wirklichkeit reagieren. Verkniffenes Betroffenheitsgesülze ist ihnen zuwider. Das Lachen gibt ein anderes Selbstvertrauen und soll besonders auf das türkische Publikum eine psychologische Wirkung haben: die Rassisten sollen nicht verharmlost werden, sondern demontiert durch die Darstellung ihrer unglaublichen Dummheit. Lachen über Rassismus in allen Schattierungen: manchmal wird es ängstlich und beklommen sein, dann wieder befreiend — ein kathartischer Effekt, der sicher nicht nur ein türkisches Publikum erreicht. (Da abwechselnd in türkischer und deutscher Sprache gespielt wird, braucht kaum jemand zu befürchten, nichts zu verstehen. Türkischsprachige Premiere wird am 9.11., deutschsprachige am 23.11. sein.)

Über ihren deutschen Regisseur — den einzigen »Ausländer« in dieser Truppe — ist das Ensemble sehr froh. Denn wenn ihnen manches vielleicht zu dick aufgetragen erscheint, wenn sie schon bereit sind, einen Rückzieher zu machen, um nicht ungerecht zu urteilen — dann nimmt er ihnen lakonisch alle Hemmungen: »Doch, wir sind so!« Anja Poschen