„Erfahrungen aufgehäuft, aber keine Toten“

Den EG-Beamten und Gen-Tech-Förderer Mark Cantley beunruhigt die ablehnende Haltung der Öffentlichkeit  ■ Aus Brüssel Michael Bullard

Mark Cantley ist von der Gentechnologie „begeistert“. Sie eröffne so viele Möglichkeiten: „Denken Sie nur an die Hungersnöte, Seuchen, Aids...“ Wo immer in Europa das Image dieses „revolutionären“ Industriezweiges zur Diskussion steht, ist der Chef der „Konzertierungseinheit für Biotechnologie in Europa“ (CUBE) in der EG-Kommission zur Stelle. Schließlich beunruhigt ihn die öffentliche Meinung: „Wegen des hohen Grades wissenschaftlichen Analphabetismus in unserer Gesellschaft riskieren wir, auf der Basis von Vorurteilen und irrationalen Ängsten Gesetze zu erlassen, die die Konkurrenzfähigkeit unserer Bio- Tech-Industrie behindern.“ Weshalb, so sein Selbstverständnis, „wir als Beamte mit öffentlichem Auftrag unseren gewählten Führern helfen müssen, einen gesellschaftlichen Lernprozeß zu organisieren.“

Das Problem sei, daß Gentechnologie meist mit den großen Chemiefirmen wie Monsanto oder Hoechst in Verbindung gebracht werde. Dies erleichtere es einigen Kritikern, eine „simplistisch antitechnologische Haltung einzunehmen“, weil diese Firmen sich in der Öffentlichkeit nicht des besten Rufes erfreuten. Für den selbst ernannten Nachhilfelehrer ist dies allerdings noch lange kein Grund, nicht die Werbebroschüren dieser Firmen auf Kosten der Steuerzahler als EG-Veröffentlichungen zu vertreiben. Er habe da beispielsweise eine „attraktiv aussehende Publikation“ gefunden, erzählt Cantley freudig, ein Resultat der Zusammenarbeit zwischen dem britischen Industrieministerium und dem Gen- Tech-Multi Eli Lilly.

Das Heft war ursprünglich als Anschauungsmaterial für 16jährige SchülerInnen gedacht. Ihm gefiel zwar die Broschüre, nicht aber, daß die Sponsoren prominent aufgelistet waren. Dies, so deutet er an, sei eine falsche Herangehensweise, erschwere sie doch dem aufmerksamen Leser, das Dargebotene entsprechend vorurteilsfrei zu würdigen. Deswegen übernahm Cantley das Propagandaheft als EG-Publikation mit dem bezeichnenden Titel Biotechnologie für alle und ließ es in fünf EG-Sprachen übersetzen, nicht ohne das Heft vor Drucklegung noch „wissenschaftlich objektiv und politisch neutral zu bearbeiten“.

Weil aber trotz staatlich-privatwirtschaftlicher PR-Kooperation das Ansehen der neuen Technologie vor allem in der Bundesrepublik und Dänemark noch zu wünschen übrigläßt, betreibt Cantley noch anderweitig Imagepflege. „Schließlich“, so gibt er völlig unerwartet zu, „sind wir noch in einer Lernphase. Unsere kleine Abteilung hat keinen Kontakt zur Welt.“ Cantleys Seinfrage: „Was ist wichtiger, Information oder Vertrauen?“ Um darauf eine Antwort zu bekommen, investierte er dieses Jahr kurzerhand 300.000 DM Steuergelder in eine Meinungsumfrage — „Eurobarometer“ genannt. Sie sollte „unparteiisch, verständlich und informativ“ sein und eine Einschätzung des Wissensstands, aber auch der Ängste und Sorgen der Bevölkerung über Gentechnologie vermitteln.

Der Glaube an die Industrie läßt nach

Als dann allerdings jeweils 1.000 Menschen pro Mitgliedsland mit Ausnahme Luxemburg befragt wurden, war von Ängsten und Sorgen kaum mehr die Rede. Das Konzept „Positiv thinking“ dominierte statt dessen den Fragebogen, wie Jesper Toft von der internationalen Umweltorganisation „Freunde der Erde“ kritisch anmerkt. Selbst Kollegen in der EG-Kommission stieß die Art und Weise auf, mit der der Fragebogen manipuliert wurde: Die Fragen seien „sehr schlecht formuliert und ungemein einseitig zugunsten der positiven Seiten der Gentechnologie“ ausgefallen.

Eine Kostprobe: „Wissenschaftler versuchen mit bio- und gentechnologischen Mitteln schneller und genauer als mit traditionellen Züchtungsverfahren Pflanzen so zu ändern, daß sie nützlicher sind, zum Beispiel, daß sie gegen Krankheiten und Ungeziefer resistent werden, schneller reifen oder besser auf trockenen oder salzigen Böden wachsen. Bitte kreuzen Sie an, ob Sie mit folgender Erklärung einverstanden sind oder nicht: Die Forschung auf diesem Gebiet ist sinnvoll und sollte unterstützt werden.“

Selbst den traditionell gen-skeptischen Westdeutschen gefiel die Frage so gut, daß 35 Prozent völlig einverstanden waren. Die Ostdeutschen brachten es mit 58 Prozent sogar auf den EG-Spitzenplatz. Einen Dämpfer allerdings ergab die Umfrage: Lediglich 7,6 Prozent der sonst so obrigkeitshörigen Deutschen vertrauen — was Informationen über Gentechnologie betrifft — ihren öffentlichen Autoritäten, nur verschwindende 1,1 Prozent vertrauen der Industrie. 31 Prozent glauben dafür den Konsumenten- und 27 Prozent den Umweltorganisationen.

Der CUBE-Direktor steht mit seiner einseitigen Sympathie für die Gentechnologie in der Kommission jedoch keineswegs allein. Unter Leitung ihres für den Binnenmarkt zuständigen Kollegen Martin Bangemann beschlossen die EG-Kommissare im April dieses Jahres ein Grundsatzdokument zur Förderung der Gentechnolgie — im wesentlichen der Forderungskatalog der Industrielobby Senior Advisory Group Biotechnology (SAGB). Ihr Direktor ist Brian Ager, ein ehemaliger CUBE-Mitarbeiter, mit dem Cantley nach eigenen Worten noch immer „eng zusammenarbeitet“. Die Dienste dieser „Beratungsgruppe“ nehmen unter anderen die sieben Chemiefirmen Monsanto, Hoechst, Sandoz, Unilever, ICI, Farmitalia und Rhone-Poulenc Sant in Anspruch.

Als sei Gentechnik Hexerei

Dies sei weiter nicht besorgniserregend, weiß Cantley, schließlich „haben wir im Lauf der letzten Jahre zwar Erfahrungen aufgehäuft, aber keine Toten“. Und den Kritikern hält er vor: „In einer Demokratie ist es wahrscheinlich unumgänglich, Gesetze zur Verfolgung und Bestrafung von Hexen zu erlassen, wenn 90 Prozent der Menschen an Hexerei glauben.“ Das Beispiel ist nicht unbedingt witzig, schwant es ihm, „doch die intellektuelle Elite Europas hat sich tatsächlich jahrhundertelang mit der Ausrottung der Hexen beschäftigt. Und auch wir laufen heute erneut Gefahr, Gesetze auf Basis von Vorurteilen und irrationalen Ängsten zu erlassen.“