INTERVIEW
: Herr Rühe — „ein wirklicher politischer Drecksack“

■ Der hessische Minister für Umwelt und Energie, Joschka Fischer, zur Asylpolitik und der Gewaltwelle gegen AusländerInnen in Deutschland

taz: Die Grünen wurden von Bundeskanzler Kohl nicht zum Allparteiengespräch über die Asylpolitik nach Bonn geladen. Dennoch tragen sie in Hessen den brüchigen Kompromiß mit. Was unterscheidet die rot- grüne Asylpolitik in Hessen von der sogenannten Allparteienvereinbarung?

Fischer: In Hessen haben wir schon länger Gemeinschaftsunterkünfte für alle Flüchtlinge bei der Erstaufnahme — ganz unabängig von der Entscheidung beim Kanzler. Der Parteienkompromiß in Bonn ist ein Abschreckungskompromiß. Konsens in Hessen ist aber eine klare Absage an die ganze Abschreckungsmentalität. Mit dem Bonner Kompromiß soll eine schnellere Ausweisung abgelehnter Asylbewerber erreicht werden, die angeblich in großer Zahl als Wirtschaftsflüchtlinge in die Bundesrepublik einreisen — eine Scheinlösung, denn in Bonn wird bewußt mit falschen Zahlen operiert. Nach hessischen Erkenntnissen haben rund 60 Prozent der Antragsteller ein Bleiberecht, etwa nach den Bestimmungen der Genfer Flüchtlingskonvention.

Wir in Hessen wollen, daß diese Flüchtlinge so schnell wie möglich einen gesicherten Aufenthaltsstatus bekommen und dann auf die Gemeinden verteilt werden. Das ist auch im Interesse der Flüchtlinge. Deshalb akzeptieren wir die angestrebte Beschleunigung bei den Verfahren. Was wir nicht akzeptieren, ist die Schaffung von Zuständen, mit denen Flüchtlinge abgeschreckt werden sollen. Es wird hier kein Internierungslager geben. Die Flüchtlinge werden sich in Hessen weiterhin frei bewegen können. Und wir werden Flüchtlinge generell nicht erkennungsdienstlich behandeln, denn auch das ist nur eine Abschreckungsmaßnahme.

Warum haben CDU/CSU in diesem ersten Jahr nach der Vereinigung diese Asyldebatte inszeniert? Die aktuellen Flüchtlingszahlen liegen doch unterhalb der Zahlen etwa für das Jahr 1989.

Es gab auch in der Vergangenheit — immer dann, wenn es der CDU bei Wahlen schlecht ging — Versuche, diese Debatte um die Asylbewerber zu inszenieren. Auch in diesem Jahr hatten wir nicht das Problem dramatisch ansteigender Flüchtlingszahlen, sondern das Problem dramatisch absinkender Prozentzahlen der CDU bei Wahlen. Und da entdeckten sie wieder den Rassismus. Das ist das Perfide an der politischen Strategie eines Herrn Rühe. Herr Rühe ist kein Rassist. Aber er bedient sich der Methoden eines — und das sage ich ganz bewußt — wirklichen politischen Drecksacks, der zynisch mit irrationalen, ausländerfeindlichen, rassistischen Instinkten spielt, um seine CDU wieder zu Wahlerfolgen zu führen. Das ist eine sehr kurzfristige politische Rechnung, denn die geht nicht auf. Der Zug, den Herr Rühe und Herr Stoiber unter Dampf gesetzt haben, der wird nicht bei der CDU/CSU halten. Der wird weiter rechts halten — angeheizt noch durch Frustration und Verzweiflung infolge gebrochener Versprechen bei den Menschen in Ostdeutschland.

Weder der Bonner Asylkompromiß, schon gar nicht eine Änderung des Artikels 16 des Grundgesetzes und wohl auch nicht das von den Grünen gewollte Einwanderungsgesetz werden die Gewaltwelle gegen AusländerInnen in Deutschland beenden können. Was bleibt zu tun?

Wir brauchen eine glasklare Auseinandersetzung mit Rassimus und Neonazismus — und mit all denen, die das hoffähig machen. Die Saat der Gewalt geht auf. Und deshalb muß diese Gewaltwelle erst einmal gebrochen werden. Es nutzt nichts, sich jetzt kluge Gedanken zu machen, solange die Asylbewerberheime brennen. Man muß auf allen Ebenen den weltoffenen Charakter der Bundesrepublik verteidigen. Ich bin überzeugt davon, daß es — bestimmt in den westlichen Bundesländern — eine große Mehrheit dafür gibt, daß alle AusländerInnen hier bleiben. Es geht aber nicht, daß man auf Dauer — wie etwa in Frankfurt — einem Viertel der Bevölkerung politische Rechte verweigert. Gerade jetzt muß man das kommunale Wahlrecht fordern. Denn wenn die Inländer mit ausländischen Pässen das kommunale Wahlrecht hätten, dann würde es eine solche Debatte, wie sie heute von CDU/CSU geführt wird, nicht geben. Nur das Wahlrecht macht die AusländerInnen zu einem berücksichtigenswerten Wahlfaktor. Auch die SPD — siehe Wedemeier — muß lernen, daß man in einer solchen Situation, wo libanesische Kinder angezündet werden, nicht auf Wahlerfolge schielen kann, die dann ohnehin nicht kommen. Da hat man zu stehen, den Kopf hinzuhalten. Es geht hier um nichts anderes als um den Artikel 1 des Grundgesetzes. Und wenn schon nicht die Moral zum Gesetz des Handelns wird, dann vielleicht der Egoismus. Die deutsche Wirtschaft weiß genau, was sie an den AusländerInnen hat. Interview: Klaus-Peter Klingelschmitt