Knallharte Landung im El Dorado

■ Zwei ehemalige DDR-Bürger verfallen der Spielsucht und rauben eine Spielhalle aus

Wenn das Schicksal zu irgendeiner Ironie fähig ist, dann liegt sie in dieser Geschichte: Zwei Männer überfallen mit Schreckschußpistolen eine Spielhalle und erbeuten 2.000 Mark. Tatmotiv: Sie wollen das Geld wieder in Spielautomaten stecken.

Juristisch heißt das Problem räuberische Erpressung, psychologisch heißt es Spielsucht. Gerhard Meyer, Gutachter im Prozeß vor der VII. Kammer des Bremer Landgerichtes, sprach gestern sogar von „pathologischer Spielsucht“. Beiden Tätern attestierte er einen „Kontrollverlust über die Persönlichkeit nach Beginn des Spielens“. Die beiden sind keine Einzelfälle, denn „fünf Prozent aller männlichen Klienten bundesdeutscher Suchtberatungsstellen sind Zocker“, erklärt Meyer. Quantitativ ist Spielsucht in der BRD damit so weit verbreitet wie Medikamentensucht.

Beide Männer haben bis 1989 in der DDR gelebt. Thomas K. (26), eines von neun Kindern aus einer zerrütteten Ehe, lebt seit seinem 4. Lebensjahr in Heimen der DDR. Die strenge Erziehung verhindert „emotionale Bindungen“, sagt der Gutachter. Die Folge: K. mangelt es an Selbstwertgefühl und Leistungsbereitschaft, ist psychisch labil. Im Alter von 16 Jahren schließt er sich einer Clique an, in der im wesentlichen gesoffen wird. Wenn das Geld fehlt, wird auch schon mal Brennspiritus mit Tee vermischt.

K. bekommt in der DDR Schwierigkeiten. „Asoziales Verhalten“ lautet der Vorwurf der Behörden. Zwangseinstellungen zur Obsternte oder als Transportarbeiter folgen, nachdem er eine Lehre geschmissen hat.

Kurz bevor die Grenzen der DDR fallen, kommt K. über die Tschecheslowakai in die Bundesrepublik. Mit Freundin lebt er in einem Übergangswohnheim in Bremen. Das neue Leben läßt sich gut an, dem Paar gelingt es sogar, 5.000 Mark zu sparen.

Im Sommer 1990 beobachtet K. dann in einer Kneipe, wie eine Frau am Geldspielautomaten steht und scheinbar immer nur Münzen einkassiert: Unermüdlich klickert das Kleingeld in den Metallschalen, K. ist fasziniert, Automatenspiele waren in der DDR verboten.

Zu dieser Zeit ist er schon mit Steffen P. (26) befreundet. P. hatte eine weniger extreme Kindheit als K., ist ein introvertierter Typ und hat ebenfalls Probleme mit dem Alkohol. Er verläßt nach Öffnung der Grenzen mit Freundin und Kind die DDR. Hier in Bremen, im Übergangswohnheim, bewohnen die drei 12 Quadratmeter. Seine einzige Bekanntschaft bleibt K., der ebenfalls von den Automaten fasziniert ist.

„Bis zu 200 Mark pro Tag" rekonstruierte der Gutachter, werfen sie vom Sommer 1990 an in die Schlitze der Geldautomaten, K. verspielt die angesparten 5.000 Mark, P. bringt es in dieser Zeit auf 3.000 Mark Mietschulden. Gemeinsame Haushaltskassen werden angezapft, Beziehungen gehen kaput, und beide spielen weiter. „Einige hören auf, wenn sie das Sparschwein ihrer Kinder geknackt haben“, berichtet Meyer von anderen Fällen. Hier spielen die beiden weiter.

Das Geld wird knapp, natürlich. Schulden, ein schlechtes Gewissen, Spielsucht: Sie hätten schon einmal daran gedacht, eine Spielhalle zu überfallen, räumen beide ein, und irgendwann hatten sie sich dann auch Schreckschuß- Pistolen besorgt.

Aber direkt vorgenommen hatten sie sich es nicht, als sie am 5. März 1991 eine Spielhalle im Bahnhofsviertel betraten. 100 Mark hatten sie dabei, wieder mal geklaut aus der Hauhaltskasse, und die wollten sie wohl noch verzocken. Beide waren ziemlich betrunken, nicht unter zwei Promille, wie das Gericht später hochrechnete. Dann sahen sie, wie die Spielhallen-Aufsicht die Tageseinnahme nachzählte, dann der impulsive Entschluß: P. bietet erst eine Zigarette an, dann zückt er die Schreckschuß-Pistole, K., der bis dahin noch am Geldspielautomat gestanden hatte, richtet seine Schreckschußpistole auf den Kopf des Spielhallen-Angestellten. 2.000 Mark streichen sie ein, der Versuch, die Aufsicht in die Toilette zu sperren, scheitert, weil sie in der Aufregung den Kloschlüssel nicht finden. Hals über Kopf stürtzen sie ‘raus, aber sie kommen nicht weit. Nach wenigen Minuten stellt sie die Polizei, nur ein paar hundert Meter vom Tatort entfernt.

Zwei Jahre auf Bewährung lautet das Urteil von Richter Werner Oetken. Begründung: Ein „minderschwerer Fall“ und eine „verminderte Schuldfähigkeit“ durch Alkohol und Spielsucht. Beide Männer haben zur Auflage, den Kontakt zu einer Selbsthilfegruppe für Spielsüchtige zu suchen. Markus Daschner