KOMMENTAR
: Serbien isoliert

■ EG-Verhandlungsvorschlag bringt die serbische Kriegspartei erstmals in die Defensive

Wenn gestern die politische Führung in Serbien um die Definition ihrer Position ringen mußte, ist dies eine direkte Reaktion auf die Vorschläge der EG vom Ende letzter Woche. Mit diesen — in der deutschen Öffentlichkeit bisher unterbewerteten — Vorschlägen ist endlich einmal ein konstruktiver Ansatz für die Verhandlungen mit den Kriegsparteien gelungen. Mit dem Ansinnen, alle Republiken des ehemaligen Jugoslawien in ihren seit 1945 geltenden Grenzen diplomatisch anzuerkennen, ist nämlich Bewegung in die festgefahrenen Gespräche gekommen. Auch der Vorschlag einer noch zu definierenden Garantie der Minderheitenrechte für die Serben in Kroatien wie für die Albaner im Kosovo ist positiv. Er sollte aber noch die Möglichkeit für eine friedliche Neuordnung der Grenzen auf der Grundlage von Volksabstimmungen offenlassen. Der Vorschlag würde sogar berechtigte Hoffnungen auf umfassende Friedensverhandlungen vermitteln, wenn die nicht durch die Republiken vertretenen Nationen und Minderheiten, also auch die Albaner, Roma, Ungarn und andere, am Verhandlungsprozeß direkt beteiligt würden. Doch das könnte ja noch in Zukunft möglich sein.

Die serbische Führung setzt dem ein Kleinjugoslawien entgegen, in dem zwar die Grenzen der südlichen Republiken bestehenbleiben sollen, aber nur die serbischen Regionen in Bosnien und Kroatien Sonderrechte erhalten. Faktisch bedeutet dieser Vorschlag die Begründung Großserbiens. Er geht weder auf die Ansprüche der Albaner noch anderer Minderheiten ein. Und entscheidend: Es wird weiterhin der Eroberungskrieg in Kroatien legitimiert. Dort wird die kroatische Bevölkerung systematisch vertrieben, um ethnisch reine serbische Gebiete zu schaffen, die sich dann diesem Kleinjugoslawien anschließen sollen. Daß bei der gestrigen Konferenz in Belgrad die serbischen Vertreter aus diesen Regionen Kroatiens, aber auch aus Bosnien-Herzegowina teilnahmen, bedeutet mehr als nur ihre Einbeziehung in die Diskussion des serbischen Lagers: es handelt sich um eine symbolische Annexion. Nicht einmal Ansätze solchen Denkens und dieser Praxis dürfen im übrigen Europa legitimiert werden. Wer mit Waffengewalt und nicht mit Volksabstimmungen Grenzen verändern will und Minderheitenrechte mit Füßen tritt, muß wissen, daß dieses Unrecht von außen niemals anerkannt werden wird. Dies sollten die EG-Verhandler noch klarer als bisher geschehen deutlich machen. Denn eine Legitimierung dieser Praxis wäre nicht nur eine Menschenrechtsverletzung größten Ausmaßes gegenüber der kroatischen Bevölkerung, sie schüfe auch einen Präzedenzfall, der andere osteuropäische Nationalisten zur Nachahmung verleiten könnte. Daß im bisher proserbischen Montenegro Stimmen laut wurden, im Zusammenhang mit den EG-Vorschlägen die Chance für eine eigenständige Politik zu ergreifen, ist für Belgrad zum Alarmzeichen geworden. Die serbische Führung spürt sehr genau, daß sie Gefahr läuft, sich völlig zu isolieren. Die Antwort von Verteidigungsminister Kadijevic, eine umfassende Mobilisierung auch in Montenegro durchzuführen, spricht offener die Sprache der Kriegspartei als der Vorschlag der serbischen Politiker. Die Mobilisierung wird die wachsenden Spannungen zwischen einem Teil der montenegrinischen Führung und Serbien noch verschärfen.

Am Sonntag wird auch von den serbischen Muslimen im Sandschak — einem serbischen Gebiet an der Grenze zu Bosnien und Montenegro — über die Unabhängigkeit von Serbien abgestimmt; und auch die Ungarn in der Wojwodina wollen nicht mehr einsehen, sich für die Ziele der serbischen Kriegspartei funktionalisieren zu lassen. Damit bröckelt gerade das, was die serbischen Nationalisten und die Militärs erreichen wollen. Dieser Umstand sollte im Namen der Interessen der serbischen Nation gerade jene auf den Plan rufen, auf die es vor allem ankommt: die demokratische Opposition in Serbien selbst. Die Politik der Kriegspartei jedenfalls verstößt zunehmend gegen die langfristigen Interessen Serbiens. Und die liegen keinesfalls in einem isolierten und diktatorisch zusammengehaltenen Staat, der auf Dauer selbst militärisch nur verlieren kann. Erich Rathfelder