Schlußstrich unter zwanzig Jahre Krieg

■ Der letzte Indochinakrieg geht zu Ende hoffentlich endgültig. In Paris wurde gestern abend das Kambodscha-Friedensabkommen unterzeichnet.

Schlußstrich unter zwanzig Jahre Krieg Der letzte Indochinakrieg geht zu Ende — hoffentlich endgültig. In Paris wurde gestern abend das Kambodscha-Friedensabkommen unterzeichnet.

Ein Leben in Frieden hat die Mehrheit der kambodschanischen Bevölkerung nie gekannt. Wird das unter internationalem Druck zustande gekommene Friedensabkommen, das gestern in Paris unterzeichnet wurde, nun nach zwanzig Jahren Krieg und Bürgerkrieg den Weg zum Wiederaufbau und zu einem Leben ohne Angst ebnen können?

Fast ein halbes Jahrhundert lang waren die drei Länder Indochinas — Vietnam, Kambodscha und Laos — einer der zentralen Krisenherde in der Welt. Dem Krieg zwischen Frankreich und Vietnam zwischen 1946 und 1954 folgte die Intervention der USA, die 1975 mit dem Fall von Saigon ihr Ende fand. Der dritte Indochina-Krieg schließlich wurde im Dezember 1978 durch die vietnamesische Invasion Kambodschas ausgelöst.

Die kambodschanische Bevölkerung hat in dieser Zeit unendlich gelitten. Prinz Sihanouk hatte lange versucht, Kambodscha als „neutrales“ Land aus dem Vietnamkrieg herauszuhalten. Sein Sturz durch den politischen Rechtsaußen und von den USA unterstützten General Lon Nol im Jahre 1970 läutete den Beginn eines lang anhaltenden Todeskampfes ein. Dem Bürgerkrieg der frühen siebziger Jahre folgten die apokalyptischen Jahre der Diktatur der Roten Khmer. Als die Vietnamesen Ende 1978 einmarschierten, wurden die Roten Khmer zwar entmachtet, doch zugleich war dies der Ausgangspunkt für eine neue Ära des Bürgerkrieges.

Die Vietnamesen besetzten ein zerstörtes Land. Nach ihrem Einmarsch flüchtete eine viertel Million Menschen ins thailändische Grenzgebiet. Denn nun kämpfte die Armee der von Vietnam gestützten neuen Regierung gegen die drei Guerillaarmeen des Prinzen Sihanouk, des Ex- Ministerpräsidenten Son Sann und der (militärisch stärksten) Roten Khmer. Ein Stellvertreterkrieg, finanziert von der Sowjetunion und Vietnam auf der einen Seite und den USA und China auf der anderen.

Heute leben knapp acht Millionen Menschen in Kambodscha, und in den thailändischen Flüchtlingslagern warten etwa 340.000 Menschen darauf, in ihre Heimat zurückzukehren. Doch wie kann das Land, das doppelt so groß wie Österreich und dessen Infrastruktur völlig zerstört ist, wieder aufgebaut werden? Ein Land, das heute zu den zehn ärmsten der Welt zählt und dessen Bevölkerung traumatisiert ist. Neben den materiellen Zerstörungen spricht man von etwa 800.000 Waisen und einer Million Kriegswitwen. Zu dem Erbe des Bürgerkrieges gehören auch die Hunderttausende oder gar Millionen von Landminen, die nach Angaben internationaler Hilfsorganisationen wie „Handicapped International“ dazu führen, daß noch heute, obwohl längst Waffenstillstand herrscht, monatlich 300 bis 500 Menschen verkrüppelt werden.

Was wird aus den Kämpfern der Armeen, die nichts anderes gelernt haben als den Krieg? Soldatenbanden bedrohen die Bevölkerung, streifen raubend und plündernd durch das Land. UN-Kontrolleure und Berater sollen nach der Unterzeichnung des Friedensabkommens eine weitgehende Entwaffnung überwachen und für 1993 Wahlen vorbereiten. Die UN-Flüchtlingsorganisation UNHCR soll die Rückkehr der Flüchtlinge organisieren. Jede Familie, so der Plan der UNHCR, soll zwei bis drei Hektar Land sowie finanzielle und materielle Hilfe für eine Wiedereingliederung erhalten. Wie wird die Bevölkerung auf die Rückkehr der so von der internationalen Gemeinschaft ausgestatteten Flüchtlinge reagieren?

Die Schlußakte, die vor der Unterzeichnung des Friedensabkommens am Montag vom Koordinationsausschuß der Konferenz angenommen wurde, fordert die bisherigen Kriegsgegner dazu auf, in einer Verfassung Menschen- und Grundrechte festzuschreiben. Doch eine der schwierigsten Aufgaben des Friedensprozesses wird es sein, allmählich eine zivile Gesellschaft aufzubauen, die überhaupt zu nicht-gewaltsamer Konfliktaustragung fähig ist. Jutta Lietsch