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■ Kabinett der Stereotypen * "Der letzte Sommer eine Familienaffäre", ARD, Mi., 20.15 Uhr

Opa ist zuckerkrank und bricht im Schwimmbad wie ein gefällter Baum zusammen. Tatütata. Im Krankenhaus — „Jetzt sind wir mal schön still“ — behagte es ihm aber nicht: Er nimmt reißaus und schwankt benommen wieder heim in ein Familienleben, das Hilde Lermann, die diesen Letzten Sommer geschrieben und in Szene gesetzt hat, nach allen Regeln der Kunst — und zwar im wahrsten Sinne des Wortes nach allen als „Hort der Schrecklichkeit“ durchdekliniert. Denn Familienglück ist für Hilde Lermann „die Schrecklichkeit des geborgenen Nichtstuns“.

Hilde Lermann, die für ihr letztes Fernsehspiel Das Winterhaus mit Auszeichnungen überhäuft wurde (u.a. erhielt sie den Adolf-Grimme- Preis in Gold) sagt von sich selbst, daß ihr die „Vermischung“ in der Kunst das Wichtigste sei, also der „Witz im Drama“.

Und weil sie diesmal so überaus bemüht die Regeln der Kunst bemüht — die sie in ihrem ersten Fernsehspiel Das Winterhaus noch mit poetischer Leichtigkeit beherrschte — wird aus ihrem „Sommerhaus“ ein angestrengt-ästhetisches Traktat, das sich zwischen Farce, Satire und Realismus nicht entscheiden kann.

Daß keiner auf den anderen hört, daß jeder in seinem Lebensbereich alleine ist, daß Frustrationen in den Wänden sitzen — das wird in einer Lermannschen Methode mit einem akustisch sich überlagernden Gespinst aus Worten und Satzfetzen ausgedrückt.

Doch dies Gespinst, das so kunstvoll gewoben ist, besteht aus Sätzen, die sich in albernem Tiefsinn spreizen: „Ach du lieber Morgentauplan, ein Unfall, das hat uns gerade noch gefehlt“; „Am Ende schuf Gott die Spendenempfänger und die rechtsdrehende Milchsäure.“ Sätze, die schon nach kurzer Zeit wie Falschgeld klingen, mit dem unsere Aufmerksamkeit erschlichen werden soll.

Noch schlimmer aber ist, daß Hilde Lermann Figuren denunziert, denen Substanz von vornherein nicht zugestanden wird und die deshalb auch keine Regung provozieren: nicht Mitleid, nicht Schrecken — und Lachen schon gleich gar nicht. Der Mutter — frustriert, dumm, masochistisch — gönnt man geradezu, daß sie von ihrem Schauspieler-Mann betrogen wird, und ihm, dem eitlen Gockel, gönnt man von Herzen seine Frau. Zu schweigen von der gescheiterten Opernsängerin, die sich als fuchsrothaarige Karikatur durchs Leben summt.

„Bei Klaus stehen auf dem Schulhof schon die Dealer“, sagt Mutter Haller vor sich hin, „da bietet die Familie doch einen gewissen Schutz.“ Da will uns natürlich die Groteske ins Auge springen, als wäre es noch ein Geheimnis, daß das Familienleben nicht wie im richtigen Fernsehen vor sich geht. Doch so gehässig, so wenig witzig wie Hilde Lermann das erzählt, geht's nur im Kabinett der Stereotypen zu. Sibylle Simon-Zülch