„Operation Geisterstadt“ der Opposition paralysiert Kamerun

Mit zivilem Ungehorsam entzieht die Opposition in Kamerun immer größere Landesteile der Regierungskontrolle/ Reaktion der Regierung: Presseverbote, Folterungen und Morde  ■ Von Dominic Johnson

Für die Bewohner von Duala ist der Samstag ein außerordentlich wichtiger Tag. Die Märkte sind geöffnet, die Taxis fahren, man kann einkaufen und Geschäften nachgehen. Diese scheinbare Normalität ist jedoch von kurzer Dauer: Ab Montag herrscht Stille in den Straßen der wichtigsten Hafenstadt Kameruns. Jede Woche bleiben dann bis zum Freitag alle Märkte, Geschäfte und Banken geschlossen, die Büros stehen leer.

Schon seit Ende Mai sind weite Teile Kameruns so gut wie paralysiert. „Operation Geisterstadt“ nennt die Oppositionsallianz ihre Taktik, mit der sie die Regierung dazu bringen will, die Macht an eine souveräne Nationalkonferenz abzugeben. Der Name ist nicht nur Rhetorik: in vielen Orten herrscht an fünf oder sechs Tagen der Woche tatsächlich Totenstille. „Es ist kein Mensch auf den Straßen“, beschreibt eine Augenzeugin die westliche Stadt Bamenda. „Alle Läden sind dicht. Nur am Samstag kaufen die Leute ein.“ Der gesamte Westen Kameruns, von Duala bis Bafoussam und Bamenda und weit in den Norden hinaus, ist praktisch der Kontrolle der Regierung entglitten. Der Außenhandel, von dem ein Großteil durch den Hafen von Duala abgewickelt wird, liegt weitgehend brach. Lediglich die Hauptstadt Jaunde ist — noch — friedlich, „eine Insel im Land“, die von den Aufstandsgebieten so gut wie abgeschnitten ist.

Wie konnte es in einem lange ruhigen Land in Zentralafrika zu solchen Verhältnissen kommen? Der seit 1984 regierende Präsident Paul Biya hält sich für einen Demokraten. Er legalisierte Ende 1990 politische Parteien und meinte, er habe dem Land die Demokratie geschenkt. Auch Wahlen wollte er in einigen Jahren. Nur zwei Dinge wollte er nicht: die düstere Geschichte Kameruns mit seinen Todeslagern, Staatsverbrechen und politischen Verfolgungen ans Licht ziehen — und eine „Nationalkonferenz“ nach dem Muster Benins einrichten, bei der alle politischen und gesellschaftlichen Kräfte gleichberechtigt eine Bestandsaufnahme des Landes vornehmen und Entwicklungsmodelle für die Zukunft diskutieren.

Die Einrichtung der Nationalkonferenz ist jedoch eine Hauptforderung der Oppositionsparteien und der in Kamerun starken Menschenrechtsorganisationen. Eine wache private Presse hat sie seit mehreren Jahren politisch präzisiert, und seit der Öffnung Ende 1990 entwickelte sich eine friedliche Kampagne. Doch der Staat blieb hart.

Streik an fünf Tagen der Woche

Am 24. Mai beschloß die „Koordination“ verschiedener oppositioneller Gruppen zuerst eine Kampagne wechselnder Streiks in verschiedenen Städten, um Präsident Biya zum Dialog zu zwingen. Am 5. Juli verschärfte sie die Kampagne: „auf dem gesamten Territorium“ sollte ab nun an fünf Tagen der Woche gestreikt werden; dazu kam ein Steuerboykott. Als Reaktion wurde am 20. Juli die „Koordination“ zusammen mit mehreren Menschenrechtsorganisationen verboten, führende Oppositionelle wurden verhaftet. Als die Streikbewegung sich daraufhin ausbreitete, verbot die Regierung Anfang September sieben der Opposition nahestehende Zeitungen — mit dem Ergebnis, daß es seitdem zu noch mehr verbotenen Kundgebungen kommt und die Lage sich einem Bürgerkrieg nähert.

Die legale Oppositionspartei „Sozialdemokratische Front“ (SDF) hält in der Stadt Bafessam eine Versammlung ab. Vier Kilometer vor der Stadt fängt eine Armeesperre Kundgebungsteilnehmer von außerhalb ab. SDF-Präsident Fru Ndi wird angeschossen. Es ist der 21. August.

Am 6. September werden Dutzende von Redakteuren und Journalisten der eben verbotenen unabhängigen Presse nach einer Kundgebung verhaftet. Viele werden in der Haft mißhandelt. Der Journalist Noubissie Ngankam von der Wochenzeitung 'Le Messager‘ — die ihr Verbot zeitweise durch eine Umbenennung in die weibliche Form 'La Messagère‘ zu umgehen versucht — liegt zeitweise im Koma. Seitdem ist Kameruns freie Presse stumm.

Ebenfalls im September unternimmt Staatspräsident Paul Biya eine Tournee durch das Land. In der nördlichen Stadt Garoua trifft er den dortigen katholischen Bischof. Wenig später wird der Bischof ermordet aufgefunden. Vermuteter Grund: Er hatte heimlich sein Gespräch mit Biya mitgeschnitten. Vermuteter Auftraggeber des Mordes: Der Gouverneur der Provinz Garoua. Er ist mit Familie seitdem auf der Flucht.

Am 21. September erreicht Biya auf seiner Tournee die Oppositionellenhochburg Duala und bleibt mehrere Tage in der „Geisterstadt“. Zwei Tage später organisiert der Politiker Jean-Jacques Ekindi, der erst im Frühjahr aus der Staatspartei ausgetreten war und eine „Fortschrittspartei“ gegründet hatte, eine illegale Demonstration gegen den Präsidenten. Ekindi, seit Jahrzehnten einer der wichtigsten Politiker des Landes, wird verhaftet. Am 24. September organisiert die gesamte Führung der mittlerweile in einem „Direktorium“ zusammengeschlossenen Oppositionsparteien einen Sitzstreik vor dem Haftgebäude — Rechtsanwälte, Schriftsteller, Parteiführer. Auch sie werden festgenommen. In den Elendsvierteln der Stadt kommt es zu Unruhen, mindestens zwei Menschen werden erschossen, Frankreich bereitet die Evakuierung seiner Staatsbürger vor. Am Abend werden Ekindi und die Prominenz der verhafteten Sitzstreikenden entlassen. Einer von ihnen, Samuel Eboua, Präsident der Oppositionspartei UNDP, ist nach schweren Folterungen teilweise gelähmt. Der Rechtsanwalt Charles Tchoungan hat schwere Kopf- und Rückenverletzungen. Das Militär untersagt ihnen medizinische Behandlung, obwohl mehrere Ärzte einen Rettungsflug nach Europa befürworten.

Etwa zwei Wochen später, Anfang Oktober, wird aus dem Nordwesten, hauptsächlich aus der Provinzhauptstadt Bamenda, von Granatenangriffen der Armee auf die Stadt berichtet, die den „Geisterstadt“-Aufruf der Opposition befolgt. Geschäfte, deren Besitzer sich dem Steuerboykott angeschlossen haben, werden von Soldaten geplündert und angezündet. Aus der Stadt Fumban wird berichtet, die Armee habe sich geweigert, auf unbewaffnete Demonstranten zu schießen.

Am 13. Oktober kündigt Staatspräsident Biya überraschend Wahlen für den 16. Februar nächsten Jahres an und lädt die Opposition zu Gesprächen ein. Sie muß sich aber „um den Premierminister scharen“, sagt er in einer Fernsehansprache. Am nächsten Tag darf die Opposition eine legale Kundgebung in Duala abhalten, zu der Zehntausende von Menschen — ein Oppositionssprecher nennt gar 300.000 — kommen. Als die Teilnehmer nach Hause gehen, interpretiert die Polizei dies als eine unangemeldete Demonstration und schießt in die Menge. Über Opfer ist noch nichts bekannt.

Ist es zu spät für Entspannung?

Wird die Ankündigung von Wahlen die Lage entspannen? Nach Meinung der Opposition ist es dafür bereits zu spät. Einig sind sich alle Beobachter, daß in den letzten Monaten eine „ungeheure Politisierung“ der Bevölkerung stattgefunden hat. Vom Staat hat sie nichts mehr zu erwarten: „Kamerun ist wirtschaftlich tot“, sagt der Oppositionspolitiker Alexander Kodock. „Die Kassen sind leer, die Beamten werden nicht mehr bezahlt.“ Und vor seiner Verhaftung und Folterung erklärte der Rechtsanwalt Tchoungang die Motivation der Bevölkerung so: „Die Grundforderung in Kamerun, wie anderswo, ist gar nicht politisch. Die Menschen fordern moralische Prinzipien. Auf den Transparenten liest man, bei Demonstrationen hört man: Dieb! Lügner! Vergewaltiger! Mörder! Wir wollen eine Demokratie, die auf moralischen Werten gründet.“

Gleichzeitig birgt dies auch Risiken, wie Historiker Achille Mbembe bereits im Juli schrieb: „Der Weg ist offen für die allmähliche Herausbildung einer Aufstandskultur, der wohl kaum durch einfache Repressionsmaßnahmen begegnet werden kann.“ Der Grund liege vor allem in der zunehmenden Willkürherrschaft des Biya-Regimes, das auf die Strukturanpassungsforderungen der Geldgeber und die Wirtschaftskrise lediglich mit einem Ausverkauf der staatlichen Unternehmen an zwielichtige Profiteure reagiere.

Gesellschaftliches Banditentum

Der Niedergang des Gesundheits- und Bildungswesens, die explosive Landflucht, zunehmende ethnische Spannungen und die Perspektivlosigkeit der Jugend, so Mbembe, fördern außerdem „neue Formen des gesellschaftlichen Banditentums“: „Wie in Liberia und Somalia verselbständigen sich die Institutionen des Militärs und die Apparate der Erpressung, des Mordes und der Repression... Wenn diese Zersplitterung in der Armee weitergeht und sich mit dem Druck des Volkes verbindet, ist ein Ende im Stil Ceausescus nicht auszuschließen.“