Nutzt die Chance!

Die taz ist — das haben auch die Reaktionen auf unsere letzte und noch anhaltende Krise gezeigt — eine Wunschmaschine: alle wollen das Überleben der taz. Doch die taz wird nur überleben können, wenn sie sich verlegerisch und journalistisch verändert und ihre internen Blockaden auch personell aufknackt. Das ist nur möglich, wenn es einen Bruch mit der Tradition des Alternativereignisses taz gibt, wenn die Zeitung sich darauf konzentrieren kann, anders und besser zu informieren als die Konkurrenz, eben weil sie „normal“ produziert wird, mit anständigen Löhnen, mit prima Vetrieb, mit klarer Hierarchie. Dazu braucht sie eine Kapitalausstattung, die Qualitätsjournalismus auch ermöglicht. Dafür rede und streite ich seit drei Jahren, dazu fällt mir tatsächlich nicht Neues mehr ein.

Seit dem Frühjahr wissen wir, daß die taz saniert werden muß und wir um Entlassungen nicht herumkommen werden. Aber unser hausinternes Klima des Mißtrauens und allzeit bereiten Verratsvorwurfs am alternativen Wesen verhindert ein schnelles Reagieren. Wir waren bis jetzt nicht in der Lage, dem dramatisch verschärften Konkurrenzkammpf in Berlin zu begegnen, und wir konnten auch die Chance eines Berlins ohne Mauer nicht zu einem Wachstumsschub für die taz ummünzen. Es gibt eine Leerstelle auf dem Berliner Zeitungsmarkt: die Ansprüche in Sachen Demokratie und Lebensqualität in der Metropole stellende Hauptstadtzeitung im Werden, die für weltbürgerliche WechselwählerInnen und Wechselfälle informiert und streitet, die alternativ nicht mehr als Subventionstatbestand begreift, sondern als eine gesellschaftliche Kategorie, die Gesellschaftsreform auf die Tagesordnung setzt — gerade heute und gegen die spaltenden konservativen Trends in Ost und West. Wenn die taz sich nicht in die Lage versetzt, diese Stelle auszufüllen, werden es andere tun.

Die Mehrhheit der taz zieht es aber vor, sich weiter zu blockieren: bis zur letzten Mogelpackung des jetzt amtierenden Vorstandes, der unter der hehren Flagge der Verteidigung der Selbstverwaltung ein ordinäres und konzeptionsloses Gesundschrumpfen anbietet — was für eine Zeitung immer nur heißen kann: flach werden. Diese Scharaden kosten nichts als Zeit und Geld, beides haben wir knapp. In dieser Konstellation, eingebunden in die Schützengräben alternativer StellungskriegerInnen, kann ich für mich persönlich keine journalistische Perspektive mehr sehen. Ich habe deswegen mein Arbeitsverhältnis mit der taz gekündigt.

Die taz ist eine Wunschmaschine. Wünsche sind frei. Ich hoffe, daß mein Abgang genutzt wird für einen Neuzugang. Ich empfehle der Redaktion schärfstens, den Vorstand zur sofortigen Ausschreibung einer Redaktionsleitungsstelle zu zwingen, eine Besetzung von außen, während Andreas Rostek die Kontinuität hält.

Als Ihr mich 1988 zum erstenmal gewählt habt, sagte ich: Ihr seid mir unheimlich! Das ist nicht so geblieben. Aber rätselhaft und für Überraschungen gut bleibt Ihr. Vielleicht ist das die Chance. Die wünsche ich Euch. geo alias Georgia Tornow