„Kleine Koalitionen sind handlungsfähiger“

■ Der ehemalige Berliner „Regierenden“, Walter Momper, über grüne und große Koalitionen

hier bitte das foto

von Walter Momper

Walter Momper mal wieder daheimFoto: Sabine Hedinga

Zur Vorstellung seines Buches „Grenzfall“ war am Donnerstag abend der Landesvorsitzende der Berliner SPD und frühere Regierende Bürgermeister der dortigen rot-grünen Koalition, Walter Momper, in Bremen. Die taz sprach mit Momper über seine Koalitionserfahrungen.

Der Bremer Bürgermeister Klaus Wedemeier hat nach der Wahlniederlage mehrfach darauf hingewiesen, daß er keine Erfahrungen in Koalitionshandeln hat. Was haben Sie ihm geraten? Hat er Sie gefragt?

Walter Momper: Nein. Aber das kann man lernen. Ich bin auch ohne Koalitionserfahrung gewesen, als ich in die Situation kam, sie führen zu müssen. Es zählt zu den interessantesten Zeiten meines politischen Lebens, sich in solche Konstellationen hineinzufinden. Wedemeier wird das auch als Bereicherung erfahren haben...

Sind die schwierigen Koalitionen interessanter oder die leichten?

Die rot-grüne Koalition war eine ganz schwierige Koalition, die Verhandlungen davor auch. Aber eine große Koalition ist unvergleichlich viel schwieriger, da waren nur die Verhandlungen vorher relativ einfach. SPD und CDU sind in ihren ganzen Verhaltensweisen sehr viel mehr eine Kultur als es die Grünen sind, Kompromißfindung, Abgrenzung gegenseitger Interessen, da sind diese Parteien natürlich geübter drin.

Wenn Wedemeier Sie um Rat gefragt hätte, dann hätten Sie ihm also gesagt: Lieber mit den Grünen und mit der FDP...

Das will ich nicht sagen, ich will da keine Ratschläge geben. Aber 'große Koalition' kann nur die Lösung für den Notfall sein. Wenn es eine Chance gibt, eine andere Koalition zustanden zu bringen, dann sollte man das machen. Nach einem dreiviertel Jahr großer Koalition in Berlin merken wir zudem, daß der Glaube, große Mehrheiten ergäben auch große Kraft, oder große Koalition bedeute starke Regierung,...

...auch großes Geld...

...meinetwegen auch, das ist schlicht Quatsch. Großes Geld? Aus Bonn gibt es sowieso nichts. Das haben viele Berliner auch gedacht, daß mit der CDU das Geld aus Bonn fließe. Da kann ich nur grienen und davor warnen. Keinen Pfennig hat es gegeben, und der derzeitige regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen ist vom Bundeskanzler schlechter behandelt worden als der sich das mir gegenüber jemals getraut hätte. Bonn hat kein Interesse daran, heute eine Landesregierung einzukaufen. Das ist, wie man aus Fregatten-Deal-Zeiten weiß, viel einfacher. Dafür braucht man keine große Koalition.

Wenn man nicht nur an die nächsten vier Jahre denkt, sondern weiter...

Ich habe bei Koalitionsbildungen immer an die Legislaturperiode gedacht, um die es ging.

Ob man als Landesvorsitzender die SPD in der Nähe der CDU führt oder in der kooperativen Auseinandersetzung mit den Grünen, das macht doch auch langfristig einen Trend aus.

Ja, und nein. In einer großen Koalition wird die Funktion der Sozialdemokraten eine andere. Die SPD muß da immer die Rolle der Zukunftspartei, den kritischen Part, den unkonventionellen und natürlichen ökologischen Part spielen ...

und den sozialen..

... den sowieso. In einer Koalition mit den Grünen werden die Sozialdemokraten natürlich der Garant von Stabilität und Bodenständigkeit gegenüber breiten Kreisen der Bevölkerung. Das liegt an der Koalitionsmechanik.

Sind Sie glücklich über die Tatsache, daß die Weichenstellungen für Berlin jetzt mit der CDU ausgehandelt werden müssen?

Am glücklichsten wäre ich mit einer reinen SPD-Regierung. Die Berliner Kritik an dem Senat der Großen Koalition, von welcher Seite sie auch kommt, ist sich einig darin, daß dieser Senat wesentliche Zukunftsfragen verschläft.

Die Stadt wird ordentlich verwaltet, manches ist glanzlos, aber gleichwohl nötig. Aber die geistig-politische Führung für eine Stadt in dieser Situation, die sich nicht gegenüber dem Osten Europas abkapseln darf, fehlt. Berlin muß in dieser neuen Unübersichtlichkeit Weltoffenheit demonstrieren, in diesem außenpolitischen Feld verpaßt der Senat einiges.

Die Große Koalition führt dazu, das habe ich inzwischen gesehen, daß die Senatoren sich stark auf ihre Fachbereiche konzentrieren und als Dezernenten tätig werden. Wenn das nicht durch einen starken und führungswilligen Regierungschef ausgeglichen wird, dann kann das zu einer fatalen Entwicklung führen.

Diese Abkapselung kann bei einer Ampel auch passieren.

Nein, eine starke Opposition wird eine Herausforderung sein, das fordert alle in der Landesregierung über ihr Ressort hinaus. Erst recht nach meinen Erfahrungen mit der großen Koalition in Berlin halte ich kleinere Koalitionen für handlungsfähiger.

Was machen Sie am Tag als die Mauer fiel, am 9. November?

Wir fahren mit der SPD-Fraktion nach Auschwitz.

Int.: K.W.