»Der sich den Wolf tanzt«

■ Sissy Perlingers »Schrilles Solo« im BKA-Zelt an der Philharmonie

Warum ist es fast immer deprimierend, jemanden auf der Bühne zu erleben, wenn der Zuschauerraum fast leer ist? Am mangelnden Applaus kann's nicht liegen; ein kleines, aber zu allem entschlossenes Publikum macht mitunter ebensoviel Lärm wie ein volles Haus. Was fehlt, sind wohl mehr die unwägbaren, schwer analysierbaren Begleiterscheinungen einer Live-Vorstellung: wie sich Lacher fortpflanzen und günstigstenfalls multiplizieren, wie ein Grundgefühl sich einpegelt, was für überraschende Reaktionen aus einer großen, eng beieinanderhockenden Menge kommen.

Wer wie Sissy Perlinger auch etwa 40 Leute im großen BKA-Zelt an der Philharmonie zum Toben und Zugaben-Erklatschen bringt, muß schon Kraft und Substanz haben. Als sie vorgestern abend, zur dritten Vorstellung ihres Berliner Gastspiels, auf die Bühne kam, waren gleich noch andere Handicaps des Abends in Windeseile vergessen: die gut viertelstündige Verspätung zum Beispiel, oder der leise Ärger über eine BKA-Angestellte, die herumging und Zuschauer höflich aber bestimmt von den Tischen vertrieb, die nur einen billigeren Stuhl-Platz bezahlt hatten, — und das in einem fast leeren Zelt.

Aber da ist Sissy: In einem ungeheuren Kugelbauch-Kostüm mit tiefhängendem Gürtel steckend, eine Attacke in glitzerndem Altrosa, mit Dickhintern und auf dem Kopf einen krönenden Halbmeterstengel, auf dem wiederum oben ein formschöner Puschel steckt. Sie singt als erstes einen Blues über das »prämenstruale Syndrom« (PMS), man hört den beeindruckenden Stimmumfang, die gekonnten und gefühlvollen Blues- Phrasierungen, man staunt über die gewaltige Kraft, die in der zierlichen Person steckt. Rund zwei Stunden singt, tanzt, plaudert, grimassiert sie, reißt Witze und lacht ihrerseits über Publikumsreaktionen. Neben ihren gesanglichen Fähigkeiten fallen ihre Direktheit und Unaffektiertheit auf, dazu die von ihr selbst geschriebenen raffiniert banalen und trotzdem intelligenten Texte (die manchmal an Erich Kästner erinnern), die ulkigen Choreografien und wahnwitzigen Kostüme — alles selbstgemacht, alles von Sissy. »Ich bin nachts immer so von Unruhe getrieben«, haucht sie in einer ihrer Conferencen; sie träumt von einem Kerl, der »von hinten beleuchtet vor einem Springbrunnen sitzt«, oder einem anderen, der zu ihr spricht: »Hey Mädchen, auf was für einer Regenbogenwolke bist du denn zu uns geflogen?« Wenn sie solche Sätze sagt — insbesondere von Männern gesprochene — legt sie gern ein leichtes Barbra-Streisand-Schielen auf, zieht einen schiefen Mund, deutet gelegentlich mit ein paar Bewegungen, wenigen Schritten den gemeinten Typ an.

Die ausgespielten Nummern sind gesanglich, choreografisch und textlich gleichermaßen amüsant: eine schön alberne und befremdliche Masturbationspantomime mit Staubsauger zum Beispiel, eine vom Komischen ins Grausige kippende Nummer über männliche Erotik, mehrere subtile Werke aus dem Tierreich (wobei Frau Perlinger auch Kalauer wie »Der sich den Wolf tanzt« auf Lager hat) — und, vor allem, viel zum Thema Liebe. In allen Schattierungen, vom ersten Toben der Hormone bis zur Enttäuschung inclusive »Nie wieder«, vom Tango bis zur rasanten Rock-Nummer.

Für mich der absolute Höhepunkt des Abends: Eine sehr, sehr komische und sonderbare Weltuntergangspantomime nach Tonband- Texten von Hans Arp und Jakob van Hoddis — da glaubt man, eine Mixtur aus Grotesktanz der 20er Jahre und Komik der Jerry-Lewis-Schule zu sehen. Kurz vor Schluß empfangen wir dann noch nützliche Selbstverteidigungstips für den Heimweg — eine Demonstration, die nur sehr Gelenkige nachahmen können, deren Text dafür leicht zu behalten ist: »Und tret! Und Box! Und brech! Und malm! Und spieß! Und schlitz!«

Ein bißchen schade ist, daß Sissy Perlinger nur nach Playbacks singt (ganz ausgezeichnet musizierten immerhin); diese Frau, diese Stimme, diese Energie mit einer guten Band — nicht auszudenken! Egal. Es stört nicht wirklich. Sissy Perlingers Soloshow ist bestes Entertainment, von durchgehend hoher Professionalität — und ein gefundenes Fressen für Freunde des abseitigen Humors. Klaus Nothnagel

Im BKA-Zelt an der Philharmonie, täglich 20 Uhr 30, außer Freitag und Samstag: 20 Uhr. Nur noch bis 6.November