Kiffen ist wieder total in

■ Was dem einen die Tüte, ist dem anderen das Bier / Frei Generationen erzählen

Schien eine Zeitlang König Alkohol die Lieblingsdroge der unzufriedenen Jugend verdrängt zu haben, so ist der Trend mittlerweile rückläufig. Kiffen ist wieder »in«. Polizisten, Bankangestellte, Journalisten und Geschäftsführer reichen einer neuen Generation das Pfeifchen, und selbst der Friedensbuchpreisträger György Konrad erwähnt in seinem neuesten Roman verdächtig oft die Freuden des Haschischrauchens. Anlaß genug gibt es, gesprächsweise eine kleine Rückschau zu halten. Wenn man für die Zeit eines Generationswechsels zehn Jahre rechnet — das ist ungefähr die Zeit, die es braucht, bis Rebellen ins Lehramt gewechselt sind —, ist inzwischen die dritte Generation am »Tütendrehen«. Und die erste Generation (die APO-68er oder Hippie 72er) beginnt, sich um ihre kiffenden Kinder zu sorgen. Den kontrollierten Lebensweg ihrer Teenagerkinder sehen viele in Gefahr. Andere winken ab.

Erste Generation

Bernd, 39, ist in einer Kleinstadt großgeworden, hat eine Zeitlang Religionswissenschaft studiert und arbeitet als Techniker bei einem Anzeigenblatt. 1969 ist er »durch einen älteren Freund zum Kiffen gekommen« und hat zwanzig Jahre lang regelmäßig Haschisch geraucht. »Grobe« gesundheitliche Probleme hat er nicht gehabt; Erkältungen kamen vielleicht häufiger vorbei und ein wenig schlug der Rauch auf den Magen. »Ich bin 'ne Zeitlang sehr dünn dadurch geworden.« Eine Freundin allerdings hätte fast ein halbes Jahr arbeiten müssen, um sich ihre durch's ständige Kiffen »versauten Zähne« wieder reparieren zu lassen. Vor zwei Jahren hat Bernd mit dem Kiffen aufgehört. Nun steht er wieder im vollen Fleische.

»Das Kiffen hat damals fast alles bedeutet: Rebellion gegen's Elternhaus, gegen die etablierte Gesellschaft, die keinen Durchblick hatte. Als Kiffer hatte man den ganz großen Durchblick. Das war ein kleiner eingeweihter Kreis, der sich untereinander immer das Dope zugeschoben hatte. Lehrlinge, Arbeiter, ein paar Studis und Schüler. Man fuhr auf eine bestimmte Art von Musik ab, rannte im Hippie- oder Gammlerlook herum und wollte die Leute schockieren und dadurch zum Nachdenken bringen. Vor allem aber war man gegen die Leistungsgesellschaft. Das Leben sollte vor allem Spaß machen. Ein paar Jahre ging das ganz gut, bis dann — 72 oder 73 — plötzlich das erste 'H‘ (Heroin) auf die Szene kam. Viele fingen an zu drücken, das Dope wurde schlechter und die Leute begannen sich untereinander abzulinken. Das hat ungefähr zwei Jahre gedauert, bis sich die Kifferszene von der Junkszene getrennt hatte. Dann gab es zwei Szenen und zwei Kneipen.

Mit dem Dope hing auch eine bestimmte Philosophie zusammen — das Erkunden höherer Welten: Castaneda, Huxley usw. Das war so'ne Art von neuerer Religiosität. Viele Kiffer sind leider auf diesem Instant- Erleuchtungstrip stehengeblieben und haben sich innerlich nicht weiterentwickelt. Wir sind ja alle Kinder bürgerlicher Eltern und haben die dementsprechenden Macken und da geht's irgendwann nicht mehr, mit Dope oder Acid drüberzufliegen und so zu tun, als wär man nicht so konditioniert. Statt dessen muß man versuchen, die Programme zu knacken, die die Gesellschaft in uns eingepflanzt hat und die sich als somatische Programme verselbständigt haben. Man muß sozusagen auf einer neuen Ebene reprogrammieren. Das haben die wenigsten gemacht.

Ich bin inzwischen mehr für die Arbeit an der eigenen Innerlichkeit. Das verhindert das Dope aber auf Dauer. Du wirst einfach zu faul und zu schlaff. Ich hab 'ne Zeitlang gekifft, Yoga gemacht und meditiert, aber irgendwann kommt dann ein Punkt, da mußt du dich entscheiden. Da hab' ich mich halt gegen Dope entschieden.

Zweite Generation

Punk macht krank, Hasch macht lasch: Zwischen Schule, Anti-Atomkraft-Bewegung, Uni, dem späten Weh verbrauchter Hippieideologien, ein bißchen Punk und dann doch wieder Hasch, das zuweilen mit Bier genossen wurde, um die Hippies zu ärgern, nahm die zweite Kiffergeneration ab Ende der siebziger Jahre ihren Lauf. Mischpersonen tauchen auf: Susanne, 31, wie die meisten BerlinerInnen kleinstädtisch sozialisiert, politisch engagierte Sachbuchautorin; Erwin, 29, pausbäckiger Journalist, Gerhard, 28, immer noch auf dem Weg zum Künstler. Alle drei begannen zwischen 15 und 18 zu »rauchen«, hörten während des Studiums auf und fingen erst danach wieder an. »Mir waren diese ganzen laschen, langweiligen, grinsenden Hippies zu blöde. Ich fand Punks besser und hab dann eine Zeitlang nur Bier getrunken.« Zwei suchten eine Zeitlang in Indien nach diesem oder jenem, einer hat inzwischen Frau und Kind.

»Zwischen 16 und 18 war das Kiffen Lebensanschauung. Das war sehr prägend. Man konnte es kaum mit Leuten aushalten, die nicht gekifft hatten«, meint Susanne und bedauert, daß das Kiffen nicht mehr so oft in Gruppen stattfinde. »Man kifft nur noch allein, oder zu zweit, wenn der Nachbar mal vorbeikommt. Zu dritt fühlt man sich ja mittlerweile schon als Großgruppe. Früher war man meist mindestens zu acht.« »Das erzeugt viel Intimität oder Komplizität, das ist ziemlich sozial, wenn man mit mehreren raucht«, findet Gerhard, der sich allerdings auch »sehr gerne« allein beim Lesen oder Briefeschreiben einen Joint genehmigt. Oft kann er allerdings überhaupt keine Entscheidungen treffen, wenn er zugekifft ist. »Im Urlaub, wo wir den ganzen Tag gekifft hatten, war das schon kompliziert. Wir wußten nie, ob wir hier eine Pause machen sollten oder da, wo und wie wir essen sollten, ob wir spazierengehen wollten und dazwischen war immer noch das Kind.«

Alle bedauern zwar, daß es beim Kiffen nicht mehr so »feierlich« zugehe, weil man zu »gierig« sei, doch betonen sie das zeitgeistkritische Potential der Droge: »Um so besser, wenn es Leute gibt, die nicht die ganze Zeit arbeiten. Dies andere ist ja viel drogenmäßiger, was man so Workaholic nennt. Wenn man das mal als das betrachtet, was es ist, ist es ja eine ganz gefährliche Sucht, die im Moment um sich greift, wie kaum etwas andres. Da bin ich eigentlich froh über jeden Kiffer, der sich dann die entsprechende Muße nimmt, sich zurückzieht, sich auf die Ottomane legt und sich 'n schönen Abend macht.«

Dritte Generation

Ein buntes Gartenhaus steht hinter der elterlichen Wohnung, irgendwo in Zehlendorf. Hier ist das »Zentrum«, das Hauptquartier einer Clique von jugendlichen Kiffern zwischen 15 und 19, die größtenteils noch zu Hause wohnen. Man hängt herum, unterhält sich, kifft, hört Musik oder bricht ab und an auch mal zu anderen Unternehmungen auf. Es ist recht gemütlich; die meisten schneidersitzen eng beieinander, ein paar liegen träumend herum. Es gibt keinen Fernseher, dafür einen Hund zum Streicheln. Einer hat Dreadlocks, einer hat einen alten Marihuanaaufnäher auf seiner dunkelblauen Trainingsjacke, einer sieht eher poppermäßig, adrett aus. Auf dem Tisch liegt eine Schachtel »Ernte 23«. Aus dem Lautsprecher tönt Bob Marley, Jimi Hendrix oder Cream. Ein paar Dosenbier dösen vor sich hin. Horst haßt Alkohol; Horst trinkt Milch. Das Abitur wackelt ein bißchen, doch zunächst soll »erst mal das Leben gemeistert werden, ohne die Arbeit zu meistern«. »Wenn ich's versieb', werd' ich's eben noch einmal versuchen. Schule und Kiffen ist kein Problem. Die Lehrer wissen wahrscheinlich sowieso, was los ist. Mein Kunstlehrer hat mich zum Beispiel bei einer Klausur mal gefragt, ob das Dope schlecht war.«

Für Dieter ist die Schule »Erfüllung. Ich freu' mich natürlich, wenn was ausfällt, aber ich hab' da einen Anhaltspunkt, wo ich mich dran festhalten kann.« Schwierig sei das Leben, auch wenn Camus' Fall und Hesses Steppenwolf eine Zeitlang geholfen haben. Eigentlich will er zum Film, »aber 'ne Schauspielschule, das wär' mir zu unsicher. Lieber gar nichts machen, als sich für irgendwas fertigmachen zu lassen, wo ich Ehrgeiz habe und im Zweifelsfall arbeitslos werde.« Auch die 16jährige Bettina weiß zwischen zwei Joints noch nicht so recht, ob sie ihr eigentliches »Ding« — Tanzen — nun durchziehen oder lieber noch eine Zeitlang weiterkiffen soll.

Die sympathischen jungen Haschbrüder und -schwestern finden, daß die Welt »ganz schön verrückt« sei, »crazy, irgendwie«. Alles gehe ganz grob falsch ab. »Wir verfolgen die Nachrichten. Uh, sagen wir, uh, was ist denn da los. Die sollen sich mal besinnen auf die Sachen, die cool sind.« Die gewitzten Systeme der Natur z.B.; das seien doch recht »gagige Einfälle«. Auch »der Ernst des Lebens muß doch nicht sein.« »Mich interessiert die verrückte Realität«, sagt einer im ersten Satz, um im zweiten Satz fortzufahren, daß er nur selten nach draußen gehen würde.

Stolz erzählt man zwar, daß man heute und gestern nicht gekifft hätte, doch mit Drogen meint keiner Probleme zu haben; außerdem würde mittlerweile jeder kiffen. Nur am Rande finden »schlechte Trips« Erwähnung.

Ein einziger, Christoph, geht den gesellschaftlich anerkannten Weg. Er macht eine Maklerausbildung und freut sich abends »auf die Tüte, wie andere sich auf ihr Bier freuen«. »Das ist natürlich eine Ausbildung zum Schweinehund«, entschuldigt er sich, aber »man kann auch als Grundstücksmakler 'ne Moral bewahren. In jedem Fall kannst du gut Kohle machen.« Von »Infiltration« ist die Rede. Die anderen stimmen ihm zu oder stellen sich vor, nur soviel Geld zu verdienen, wie man zum Leben braucht. Ob das nun legal oder illegal geschieht, sei eigentlich »scheißegal«. Es muß allerdings »cool« sein. Detlef Kuhlbrodt