Prostitution als Beruf gerichtlich anerkannt

■ Bahnbrechendes Urteil des Sozialgerichts: Arbeitszeit einer Prostituierten als berufliche Tätigkeit im Sinne des Arbeitsförderungsgesetzes anerkannt

Berlin. Das Berliner Sozialgericht hat jetzt in einem bahnbrechenden Urteil festgestellt, daß die Arbeitszeiten einer Prostituierten als berufliche Tätigkeit im Sinne des Arbeitsförderungsgesetzes anerkannt werden müssen. Gleichzeitig verurteilte es das Landesarbeitsamt, die 27jährige ehemalige Hure K. bei einer Umschulung zur Tischlerin »zu fördern«. Die Prostituierten-Organisation Hydra wertete das Urteil als »wegweisend für alle Prostituierten, die eine Umschulung anpeilen«. Es unterstütze die Bemühungen der Hurenbewegung nach beruflicher Anerkennung der Prostitution. Das Arbeitsamt kündigte Rechtsmittel an. (Siehe Interview auf Seite 40)

Die ehemalige Hure K., die sechs Jahre anschaffen gegangen war, ohne dies beim Finanzamt zu melden, hatte im Sommer 1989 beim Arbeitsamt eine Umschulung als Tischlerin beantragt. Voraussetzung für eine Umschulung nach dem Arbeitsförderungsgesetz ist, daß der Antragsteller in den letzten drei Jahren zwei Jahre Sozialversicherungsbeiträge geleistet hat. Ferner müssen Antragsteller ohne abgeschlossene Berufsausbildung beweisen, daß sie mindestens sechs Jahre beruflich tätig waren. Den Sozialversicherungsnachweis hatte K. erbracht, weil sie zwischen 1988 und 1991 mit Unterbrechungen als ABM-Kraft und Tischlerhelferin tätig war. Aber ihre sechsjährige Arbeit als Hure erkannte das Arbeitsamt nicht als berufliche Tätigkeit im Sinne des 42. Arbeitsförderungsgesetzes an.

Vor Gericht berief sich K. darauf, auch die Tätigkeit von Hausfrauen und Müttern mit Kindern würde für eine Umschulung anerkannt. Warum also nicht auch Prostituierte? Die 66. Kammer des Sozialgerichts gab K. recht, nachdem Mitarbeiterinnen von Hydra und das Gesundheitsamt bezeugt hatten, daß K. sechs Jahre bis zu 39 Stunden wöchentlich als Bardame und Hure gearbeitet hatte. In der Urteilsbegründung weisen die Richter darauf hin, daß auch die Tätigkeit einer Hausfrau von der Rechtssprechung »als beachtliche berufliche Tätigkeit« anerkannt sei. Das müsse auch für die Tätigkeit von Prostituierten gelten. Abschließend stellte die 66. Kammer deutlich fest: »Auch wenn die entsprechenden Bemühungen (noch) nicht soweit gediehen sind, einer Beschäftigung als Prostituierte den ansonsten gegebenen rechtlichen Schutz zu gewähren, so bleibt doch zu konstatieren, daß es sich inzwischen um eine von der Gesellschaft in vielerlei Hinsicht akzeptierte Tätigkeit handelt.« plu

(Aktenzeichen S66 Ar 923/90)