Berliner Polizei — ein schlechter Schertz? Von Philippe André

Wer in Not ist, dem muß geholfen werden. Was aber, wenn ausgerechnet diejenigen um Hilfe schreien, die gemeinhin wegen derselben gerufen werden? In diesen Tagen nämlich zeigt sich die Berliner Polizei in ungekannter Formschwäche. Prompt zeichnet ihre Berliner Gewerkschaft öffentlich ein gar düsteres Bild der nahenden anarchischen Zukunft in der Stadt. Da sei einmal ein exorbitanter Anstieg von Straftaten festzustellen, eine „Konzeptionslosigkeit der Regierung“ deutlich zu erkennen und vor allem „das Fehlen qualifizierten Personals“ zu beklagen. In der Tat, jede zehnte Straftat in Deutschland wird neuerdings im kriminellen Eldorado Berlin verübt: 330.000 Delikte allein in den ersten acht Monaten dieses Jahres. Gleichzeitig geht die Aufklärungsrate in nahezu jedem Bereich bedenklich zurück. Bis Ende 1991, so schätzen Fachleute, wird es zu 5.000 Brandstiftungen gekommen sein, bei einer Aufklärungsquote von 20 Prozent. Schwerer Raub stieg um sechs, die Aufklärungsrate sank gleichzeitig um satte elf Prozent. Auch bei Körperverletzung und Sexualdelikten sinken die Erfolgsmeldungen stetig. Da liegt es nahe, die pure Hilflosigkeit zu heucheln. Und dennoch, manche Bürger sehen die Sache ganz anders. „Wart' ab“, riet mir unlängst ein Freund, „bis wir in Kreuzberg das nächste Straßenfest starten wollen oder eine Demo gegen Fremdenhaß. Du wirst nicht glauben, wie topfit die plötzlich sind.“ Tatsächlich braucht man in bestimmten Vierteln Berlins nur einen Kiezfurz zu lassen und hat sofort die geballte Staatsmacht im grimmigen Harnisch vor der Tür. Einmal gelang es der hilflosen Polizei sogar, ganz Kreuzberg einzukesseln. Und bei den Brandstiftungen vermuten die Mietervereine zwar längst Hilfstruppen neometropolitaner Bodenspekulierer am Werk, die erfahrene Polizei tippt jedoch ungerührt weiter auf einsame Pyromanenherzen. Mißtrauen erregen aber auch Vorfälle, die man eher zufällig mitbekommt. Zum Beispiel der Fall der 32jährigen vergewaltigten und ermordeten koreanischen Studentin Kyung-Lim Lee. Zwei Frauen waren kurz vorher an der selben Stelle im Bezirk Zehlendorf angegriffen und dabei schwer verletzt worden. Die Polizei wurde sofort informiert. Am Tatort erschien sie jedoch nicht. War es draußen vielleicht zu kalt? Vor wenigen Tagen erst wurde in Kreuzberg ein Mietshaus in Brand gesteckt. Der um Hilfe anrufende Türke wurde zunächst mal gefragt: „Wohnen auch Deutsche in dem Haus?“ Als dieser verneinte, hieß es „ach so“. Zwanzig Minuten brauchten die Jungs mit den Schläuchen daraufhin für die 1,5 km zum brennenden Haus. Vielleicht sollte die Polizei nicht über den Mangel an qualifizierten Ordnungshütern lamentieren, sondern das vorhandene Personal endlich qualifizieren. Da wären Vorlesungen zu den Themen „Die Frau im Wandel der Zeiten“ oder „Alle Menschen sind Ausländer — fast überall“ bestimmt nicht die schlechtesten Weiterbildungsangebote. Der Senat diskutiert lieber den Rücktritt des Polizeipräsidenten Schertz. Ob's das rausreißt?