Mit einem Bambusfloß über den Atlantik

Der Hamburger Menschenrechtler und Survivalexperte Rüdiger Neberg schippert im Bambusfloß nach Brasilien, um auf das Sterben der Yanomami-Indianer aufmerksam zu machen.

Im Auftrag der Gesellschaft für bedrohte Völker werden die Überlebenskünstler- und MenschenrechtlerInnen Rüdiger Nehberg (56) und Christina Haverkamp (33) am 23.November mit einem sechs Meter langen Bambusfloß von Dakar (Senegal) nach Brasilien segeln. In Hamburg stellten sich die beiden am Donnerstag samt ihrer Nußschale der Presse vor. Mit der spektakulären Aktion am Vorabend des 500. Jahrestages der „Entdeckung“ Amerikas wollen sie „an die Vernichtung von schätzungsweise 100 Millionen Indianern erinnern“ und sich für den Schutz und die Landrechte der noch lebenden Ureinwohner einsetzen.

Schon 1987 war der Hamburger Ex-Konditor aus gleichem Anlaß in einem Plastik-Tretboot 4.000 Kilometer über den großen Teich geschippert. Die jüngste, auf zwei bis drei Monate angelegte Expedition verstehen die beiden als Gegenaktion zu den pompösen Jubelfeierlichkeiten, die von der spanischen Regierung für 1992 zum 500. Jahrestag der „Entdeckung“ Amerikas angekündigt wurden. Von Barcelona aus wollen die Nachfolger der Konquistadoren mit der „Santa Maria“, einem Nachbau des Flaggschiffs von Christoph Columbus, in See stechen. Damit werden sie für ihre eurozentristische Mähr vom „Zusammenkommen zweier Welten und Kulturen“ werben.

Im publizistischen Windschatten des historischen Seglers hoffen die beiden Survival-Menschenrechtler, die Weltöffentlichkeit auf ihr Anliegen aufmerksam machen zu können. Von der Gesellschaft für bedrohte Völker haben sie den Auftrag, den Ureinwohnern eine Versöhnungsbotschaft des weißen Mannes zu überbringen. „Bis Ende November soll dieses Friedensangebot, oder besser gesagt die Entschuldigung für 500 Jahre Ausrottung, Ausplünderung und Sklaverei, von möglichst vielen bedeutenden europäischen Persönlichkeiten unterzeichnet werden“, fordert Nehberg. „Es gibt für die geschehenen Verbrechen keine Rechtfertigung“, heißt es in der Botschaft der Gesellschaft für bedrohte Völker, „wir können den indianischen Völkern nur unser aufrichtiges Mitgefühl ausdrücken und anerkennen, daß Europa und das ,weiße‘ Amerika tief in ihrer Schuld stehen.“

Besonders am Herzen liegen den Menschenrechtlern die letzten noch frei lebenden Yanomami-Indianer am Amazonas, die von mafiaartig organisierten Goldgräbern bedroht werden. Die brasilianische Regierung hat sich nach den massiven Protesten brasilianischer und internationaler Umweltschützer und Menschenrechtler zwar inzwischen zum Schutz der Yanomamis verpflichtet. Auch ließ sie einen Teil der Goldgräber-Landepisten im Urwald sprengen. Dennoch zerstören verbliebene Goldsucher nach Aussage der Gesellschaft für bedrohte Völker immer noch die Lebensgrundlagen der Yanomamis, vergewaltigen sie und infizieren sie mit Krankheiten. „Die Indianer werden von den Eindringlingen sogar als Freizeitbeschäftigung wie Affen abgeschossen“, sagte Nehberg.

Sowohl Nehberg als auch die Kieler Sport- und Mathematiklehrerin Christina Haverkamp haben ihre Schützlinge in der Vergangenheit mehrfach besucht, als Goldgräber getarnt oder im Rahmen zweier Expeditionen mit medizinischen Hilfeleistungen. Mit ihrer neuesten Aktion wollen sie den internationalen Druck auf den brasilianischen Präsidenten verstärken, damit er endlich per Dekret das Gebiet sperrt und einen Yanomami-Schutz-Park durchsetzt.

Die Zeit eilt, denn 90 Prozent der noch lebenden 6.000 Indianer sind krank und werden ohne umfangreiche Hilfsaktionen das nächste Jahr nicht überleben. Wenn sie ausgestorben sind, darf der Regenwald offiziell gerodet werden. Darauf warten bereits 26 brasilianische und internationale Großunternehmen, die Schürfrechte für Bodenschätze — insbesondere Uranerz — im Yanomami-Gebiet beantragt haben. Um den Raubbau an der Natur zu verhindern, fordert die Gesellschaft für bedrohte Völker eine „Klimasteuer“: Damit weltweit das Abholzen des Regenwaldes unattraktiv wird, sollen die Industrienationen Geld für jeden nicht abgeholzten Hektar an die Tropenwaldstaaten zahlen.

Ihr Expeditionsfloß, daß am Donnerstag auf einem Alsterfleet stilecht mit der Milch einer Kokosnuß auf dem Namen „Bamboo Raft“ getauft wurde, wollen Nehberg und Haverkamp demnächst in der Nordsee auf Hochseetüchtigkeit testen. Gemeinsam mit einem Hamburger Bootsbauer haben sie es in nur vier Wochen Arbeit aus 120 taiwanesischen, oberarmdicken Bambusrohren hergestellt.

Im Innern besteht die PR- wirksame Naturkonstruktion jedoch aus Kompromissen: Kunststoff zum Ausschäumen der Bambusrohre. Zusammengehalten wird das Floß auch nicht mit Pflanzenfasern, sondern durch Glasfasergürtel und das wenig umweltfreundliche Epoxidharz. Und die Bambuschutzhütte der „Pipi-Langstrumpf-Konstruktion“ (Haverkamp) erhält ihre Festigkeit bei genauerem Hinsehen aus Polyurethan-Platten. Peter Hermes