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Endstation Sehnsucht

Die Baby-Boomer werden 30 — und suchen ihr Heil in der Familie. Ob sie dabei auch ihr Glück finden, zeigt die US-Serie „Die besten Jahre“ ab Sonntag, ARD, 23.10 Uhr  ■ Von Ute Thon

Mensch, ich bin 30. Irgendwann erwischt es selbst den hartnäckigsten Dauer-Twen. Jetzt wird's ernst. Zur Bewältigung des Erwachsenentraumas stürzt er sich entweder in ein wildes Liebesabenteuer, strickt noch zielstrebiger an der Karriere, oder entdeckt plötzlich seinen Nesttrieb und zeugt torschlußpanisch Nachwuchs.

So gesehen in einer ARD-Serie, die endlich Licht in die bislang filmisch kaum erschlossene Welt der „Wir um die Dreißig“-Typen bringt. Die mit mehreren Emmy-Preisen ausgezeichnete amerikanische Sitcom Thirtysomething präsentiert als neue Serienhelden zwei junge Ehepaare und drei dynamische Singles, die in den „besten Jahren“ (so der deutsche Titel) sind. Ihre Probleme kreisen um Rosinenjoghurt, Sex mit Schwangeren, Liebhaber mit Polyesterhemden und die Milchzähne ihrer Neugeborenen. Ihr Leben ist geregelt, aber sie haben es nicht im Griff. Die Thirtysomething-Erfinder Marshall Herskovitz und Edward Zwick wissen als gestandene Männer um die 30, wovon sie reden. Mit einer gesunden Portion Selbstironie lüften sie in der Serie die Bettdecken der „Baby Boomer“-Generation.

Und dort passiert zunächst genau dasselbe, was unter allen Bettdecken der Welt passiert: Hände streicheln über nackte Haut. Aber plötzlich flüstert Hope: „Ich glaube, es geht nicht. Sie wird gleich aufwachen.“ Die Sorge gilt dem Baby nebenan. Seit der Geburt ihrer gemeinsamen Tochter Jane erschwert der Stillrhythmus den ehelichen Beischlaf des jungen Paares.

Hope und Michael gehören wie ihre Freunde zu jener Spezies junger, schöner, gebildeter, weißer Mittelklasse-Wesen, die vorzugsweise an der Börse, in Werbeagenturen oder Kunstgalerien anzutreffen sind. Sie tragen zwei fingerbreite Hosenträger und Levi's-Jeans Nr.501, schätzen die Nouvelle Cuisine und hören Prince. Die studentische Sturm- und Drangzeit haben sie mit summa cum laude abgeschlossen, um danach als „young urban professionals“ vielversprechende Jobs aufzureißen. Auf einmal stellen sie fest, daß Seidenkrawatten, Cocktailparties und Managerstühle allein nicht glücklich machen. Der tiefere Sinn des Lebens, so die weise Erkenntnis dieser Endzwanziger, liegt wohl doch im ideellen Bereich. Das Familienglück, das ihnen dabei vorschwebt, hat selbstredend nichts zu tun mit jener unglaublich verlogenen Spießeridylle ihrer Eltern. So werden aus den karrieregeilen Yuppies von gestern ernährungsbewußte Eltern von morgen.

Aber das erträumte Familienglück hat seine Tücken. Hope (Mel Harris) fühlt sich in der Rolle der perfekten Mutter überfordert. Alles, was sie neben der nervenaufreibenden Säuglingspflege noch will, ist „Konversation mit jemandem, der größer ist als 60 Zentimeter“. Dagegen macht sich bei Ehemann Michael (Ken Odin) Unmut über das fehlende Sexlife breit. Schon beginnen ihn fremde Frauenbeine mehr zu interessieren, als die häuslichen Schwangerschaftsstreifen.

Elliott (Timothy Busfield), sein bester Freund und Kompagnon der gemeinsamen Werbeagentur, ist da schon eine Stufe weiter. Als Ehemann und zweifacher Vater hat der vollbärtige Draufgänger den ersten Seitensprung bereits hinter sich.

Seine Frau Nancy (Patricia Wettig) verkörpert ihrem leidenden Meryl-Streep-Gesicht entsprechend den depressiven Part in der flotten Dreißiger-Runde. Im Laufe der Serie wird ihre Ehe zerbrechen, und als ob sie daran nicht schon schwer genug zu tragen hätte, haben ihr die Drehbuchautoren ganz zum Ende auch noch Eierstockkrebs in die Serienbiographie geschrieben. Aber diesen Schicksalsschlag werden deutsche ZuschauerInnen vorerst nicht miterleben. In den ersten 34 eingekauften Folgen bleibt Nancy gesundheitlich wohlauf.

Als die Serie 1987 in den USA startete, wurde sie überhäuft mit Kritikerlob. „TV Mirrors a New Generation“ titelte die 'New York Times‘ und entdeckte zugleich einen neuen Trend: „Im Fernsehen wie im Leben kommen Babys wieder in Mode.“ Ihr Publikum fand Thirtysomething nicht nur unter der anvisierten Dreißiger-Zielgruppe, sondern im ganzen Zuschauerspektrum zwischen 18 und 50. Das Erfolgsgeheimnis der Serie liegt in der Kombination aus pointiertem Dialogwitz und tabuverletzender Problembeschreibung: Männer dürfen weinen und ihre „klebrigen Kinder“ zur Hölle wünschen. Da beschimpfen Frauen ihre miserablen Liebhaber als „männlichen Wurmfortsatz“ und verfluchen selbst die eigene Mutter als „Mischung aus Godzilla und Medea“. In jeder 45-Minuten-Episode durchloten die Protagonisten alle Gemütszustände von himmelhoch jauchzend bis zu Tode betrübt. Bei allen Konflikten bleiben die Charaktere jedoch immer grundsympathisch, wie die netten jungen Leute von nebenan eben.

Vor allem Gary, der Single im Thirtysomething-Club, wäre der Schwarm aller Schwiegermütter, wenn er sich nur einen ordentlichen Haarschnitt zulegen würde. Der blonde Surfertyp mit handwerklichem Geschick und lässigem Dreitagebart ist einer dieser aufgeklärten Männer, wie sie sich emanzipierte Frauen wünschen.

Wenn sie dann aber die Wahl haben, nehmen sie doch lieber den besitzergreifenden Macho. Oder den geschiedenen Frauenarzt, wie Garys Angebetete Melissa (Melanie Mayron) in Folge elf. Ihren „Doktor zum Verlieben“ hat die flippige Fotografin in einer Videothek kennengelernt, dort, wo scharfe Männer sonst „nur auf Betamax zu kriegen sind“.

Als die preisgekrönte Serie in diesem Frühjahr nach vierjähriger Laufzeit in den USA abgesetzt werden sollte, weil die Produzenten und Schauspieler unübersehbar auf die „Forties“ zusteuerten und auch die ratings nicht mehr stimmten, regte sich heftiger Protest.

Die leiderfüllte Fernseh-Seele- Nancy sollte unheilbar erkrankt als erste aus dem Serienleben scheiden. Dagegen gab es eine massive Briefkampagne. Selbst die Redakteure des Männermagazins 'Esquire‘ forderten: „Let her live, Mr.Producer.“ Ob sich das deutsche Publikum schon nach 34 Die besten Jahre-Folgen zu ähnlich emphatischen Sympathiebekundungen hinreißen läßt, bleibt abzuwarten.

So oder so könnten Michaels Abschiedsworte nach einem müden Abend unter Freunden zum sinnstiftenden Wahlspruch der Thirtysomething-Gemeinde werden: „Ich weiß, wir sind langweilig, aber Ihr könnt nächstes Wochenende wiederkommen.“

Der Text ist ein gekürzter Vorabdruck aus 'Das Erste‘, 11/91.

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