WIR HATTEN KEINEN ANTEIL AN DIESER WELT...

■ Rollo Gebhard und Angelika Zilcher segelten vier Jahre lang in der Südsee und nach Alaska

Rollo Gebhard und Angelika Zilcher segelten vier Jahre lang

in der Südsee und nach Alaska.

VONMICHAELBALLAUFF

Was muß es für ein Gefühl sein, nach jahrelangem Aufenthalt auf dem Ozean, zwischen abgeschiedenen Inseln und an menschenleeren Küsten, wieder in die technisierte Welt zurückzukehren? Ist man desorientiert, haßt den Lärm, die geschäftige Hektik? Will man nur wieder weg? Oder ist man gar heilfroh, der rauhen und gefährlichen Natur endlich den Rücken gekehrt zu haben und wohlbehalten in die vertraute Umgebung zurückgekehrt zu sein?

Der Segler Rollo Gebhard, der von seinen 70 Jahren 30 auf See verbracht hat und im Mai dieses Jahres von seiner dritten Weltumsegelung zurückgekehrt ist, sieht das leicht nüchtern: „Ich bin ein Mensch, der unserer Zivilisation voll verhaftet ist. Ich habe Weltumsegelungen nie mit dem Ziel unternommen, auszusteigen. Ich wollte meinen Horizont im wahrsten Sinne des Wortes erweitern. Mit Erfahrungen, mit Erlebnissen, aber auch mit Gefahren und mit einem Einsatz, der an die Grenze meiner Möglichkeiten geht.“

Zweimal segelte Gebhard alleine um den Erdball, die dritte Fahrt unternahm er zusammen mit Angelika Zilcher. Gebhards letzte Ozeanfahrt begann Ende Mai 1983 in Travemünde, führte über den Nordatlantik nach Neufundland, nach Süden die nordamerikanische Küste entlang, durch den Panama-Kanal in den Pazifik und dort zu den Südseeinseln östlich von Australien. Sylvester 1984 unterbrachen beide ihre Tour, um im Mai 1987 wieder in Tahiti zu starten, wo sie ihr Boot „Solveig IV“, einen 12,90 Meter langen Zweimaster vom Typ Harlberg Rassy42, zurückgelassen hatten.

Von dieser Reise durch die Südsee und nach Alaska berichteten Rollo Gebhard und Angelika Zilcher per Film und Vortrag an vier Abenden in Berlin im Konzertsaal der Hochschule der Künste. Der Film Mein Pazifik, unterwegs auf Super-8-Material gedreht, gab einige Einblicke in die Inselwelt der Samoa-, Fidschi- und Salomon-Gruppen und die Lebensweisen der dort lebenden Völker. Gebhard und Zilcher freundeten sich mit Insulanern an. Sie konnten ihren Alltag beobachten und an besonderen Festen und Riten teilhaben. Das zu erreichen, war nicht einfach. Sie mußten sich den Inseln mit äußerster Vorsicht nähern. Einmal aufgrund der gefährlichen Korallenriffe, die fast alle Inseln umgeben und nur schmale Zufahrten zu den Stränden und Siedlungen lassen. Zum anderen wegen der Bewohner selbst, deren Reaktionen sie nicht voraussehen konnten. „Oberstes Gebot war: nicht ohne ausdrückliche Einladung an Land gehen!“ Die ergab sich aber meistens ziemlich schnell, nachdem Trupps von Insulanern mit Kanus zur „Solveig“ gekommen waren und das Schiff durchstöbert hatten. „Wir wußten dann oft nicht, ob wir uns defensiv oder aggressiv verhalten sollten. Es war ungemütlich und kitzlig, wenn zehn bis zwölf Leute auf das Schiff kletterten. Besonders die Salomonen sind neben Neuguinea die wildeste Ecke im Pazifik.“ Doch dies muß man als Eindringling wohl in Kauf nehmen, und nur einmal wurden sie von bewaffneten Einwohnern von ihrem Ankerplatz vertrieben.

In den Salomonen hat Rollo Gebhard dann auch seine „Trauminsel“ entdeckt, von Einheimischen „Owa Raha“ genannt. Diese Insel, deren internationalen Namen er nicht nennen will, wurde in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts durch den eingewanderten Hamburger Henry Kueper vor äußeren Einflüssen geschützt und hat sich so laut Gebhard die eigene Kultur und Autonomie der Versorgung bewahrt. Kueper verwehrte chinesischen Handelsschiffen den Zugang zur Insel und verhinderte die Einführung eines auf Tauschmitteln basierenden Warenhandels, der das soziale Gefüge der Bewohner zerstört hätte.

Die Frage stellt sich, ob hier nicht ein Fremder seine idyllischen Vorstellungen vom Leben in der Natur über seinen Einfluß als weißer „Zauberer“ durchgesetzt hat, ohne auf die Bedürfnisse der Insulaner einzugehen. Es mutet vermessen an, als Bürger industrialisierter Staaten andere Kulturen vor Erfahrungen mit Elementen der sogenannten Zivilisation abschirmen zu wollen, weil man diese Einflüsse für schädlich hält. Doch Gebhard ist überzeugt, daß es zum Besten der Bewohner von Owa Raha war, und glaubt etwas naiv, sein „Paradies“ gefunden zu haben.

6.000 Seemeilen Richtung Nordost

Nach einem Jahr in der Südsee nahmen Gebhard und Zilcher Kurs Nordost, um den Nordpazifik diagonal nach Alaska nonstop zu durchsegeln. Das sind über 6.000 Seemeilen, ein Viertel des Erdumfangs, bei hauptsächlich Gegenwinden und der Gefahr von Stürmen. Der Film zeigte eindrucksvolle Bilder der rollenden Dünung, die schon bei mittleren Winden bis fünf Meter hoch werden kann und das Boot ständig hin und her wirft. Man bekam eine Vorstellung vom sich verändernden Klima, der zunehmenden Kälte und den wechselnden Winden. Flauten und Sturmböen erfordeten kräftezehrenden Segelwechsel und Nebelfelder ließen die Anspannung an Bord wachsen. „Wenn ich Zweifel hatte, sagte Angelika zu mir: ,Du hast es ja so gewollt.‘“ Nach 55 Tagen, am 21. Juli 1988, erreichten sie Sidka im Golf von Alaska.

Für Gebhard war Alaska der beeindruckendste Teil seiner Reise, das Land ist für ihn der Inbegriff von Natur und Freiheit. Begeistert berichtet er von den lockeren Umgangsformen beim Zoll und der Polizei, die keinerlei Schwierigkeiten bei der Einklarierung machten, obwohl sie länger als sechs Monate, bis zum Frühjahr 1989, dort bleiben wollten. Sie durften sogar mit ihrem klapprigen Bordmofa ohne Zulassung herumfahren. „Da wußten wir, daß wir im richtigen Land sind.“ Mit der „Solveig“ fuhren sie durch die Fjorde vor der Küste, wagten sich weit zwischen die Eisberge und Gletscher. Im Kommentar des Films betonte Gebhard seine Ergriffenheit angesichts der Berge und der absoluten Stille mancher Gegenden so nachdrücklich, daß die Bilder kaum eine Chance hatten, die Einmaligkeit der Landschaft aus sich heraus darzustellen. Alaska ist etwa siebenmal so groß wie die BRD und hat dabei nur etwas über 500.000 Einwohner. „98 Prozent des Landes sind noch unberührt. Man ist allein mit der Landschaft und den Tieren. Das Naturerlebnis dort war stärker, als in der Südsee, deren Inseln doch zum größten Teil bewohnt sind. Wir hatten keinen Anteil an dieser Welt, waren nichts als unbeachtete Eindringlinge.“

Ein Höhepunkt war sicherlich die Begegnung mit einem Paar Buckelwale, die mit ihrem Paarungsspiel beschäftigt waren und dabei immer wieder mit den großen Brustflossen das Wasser aufpeitschten. Es ist der Traum und die Furcht aller SeglerInnen, einmal die massigen Körper und die riesige Schwanzflosse dieser Tiere in der Nähe des eigenen, meist kleineren Bootes aus dem Wasser auftauchen zu sehen. Die Faszination der Szene war sehr glaubhaft.

Treibnetze aus hauchdünnem Nylon

Diese Begebenheit führt zu einem weiteren Grund für Gebhard, nach siner Rückkehr an die Öffentlichkeit zu treten. Auf der Überfahrt nach Alaska blieb die „Solveig“ eines Nachts unter vollen Segeln plötzlich stehen. Irgend etwas hatte die Fahrt des Bootes gestoppt. Im Wasser ließ sich kein Hindernis ausmachen, es hatte auch kein Geräusch gegeben. Gebhard und Zilcher bargen die Segel, und als der Druck aus der Takelage war, begann das Boot weiterzutreiben. Sie waren wieder frei, hatten jedoch keine Erklärung für diesen Vorfall.

In Alaska erfuhren sie dann, daß im Nordpazifik Treibnetze aus hauchdünnem Nylon zum Thunfischfang ausliegen. Darin hatten sie sich anscheinend auch verfangen. 1.200 bis 1.400 Fischtrawler japanischer, chinesischer und thailändischer Fangflotten legen außerhalb der Hoheitsgewässer jeden Tag bis zu 150 Kilometer lange Netze aus, die 15 Meter tief ins Wasser reichen. Das sind etwa 50.000 Kilometer Netz täglich. In diesen Wänden verfangen sich neben dem Thunfisch auch Seevögel, Robben, Delphine und Wale und verenden qualvoll. Jährlich sterben bis zu einer Million Delphine und andere Wale in den Treibnetzen, die sie mit ihrer Ultraschallorientierung nicht orten können. Diese Informationen waren neben der eigenen Gefährdung ausschlaggebend für Gebhard, etwas gegen diese massenhafte Tiervernichtung zu unternehmen.

Nach dem Aufenthalt in Alaska segelten sie über Australien auf dem schnellsten Weg zurück nach Deutschland — eine Gewalttour, die über sechs Monate dauerte —, wo Gebhard am 1.7.1991 die „Gesellschaft zur Rettung der Delphine e.V.“ gründete. In Zusammenarbeit mit anderen Umweltschutzorganisationen, wie Earthtrust aus den USA, will Gebhard Öffentlichkeit schaffen, um den Thunfischverkauf zu bremsen. Zusätzlich ist es notwendig, in Erfahrung zu bringen, von welchen asiatischen Firmen der Fisch aus Treibnetzen genau stammt und wie er zum Beispiel nach Deutschland kommt, so daß Beweise für ein mögliches Einfuhrverbot in der EG vorliegen.

„Ich bin kein fanatischer Umweltschützer, aber ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, so lange zu kämpfen, bis das Verbot der Treibnetze weltweit duchgesetzt wird. Als Weltumsegler fühle ich mich dazu berufen. Ich selbst habe bei meiner ersten Weltumsegelung täglich Delphine in meiner Nähe gehabt. In den zwei Monaten von der Südsee nach Alaska hingegen haben wir nicht einen einzigen Delphin gesehen.“

Große Thunfischabnehmer wie „Nordsee“, die BMW-Werkskantinen oder die Hilton-Hotelkette unterstützen den Aufruf zum Verbraucherboykott und bieten keinen Thunfisch mehr an. Die Importeure beginnen über die Herkunft ihrer Ware nachzudenken. Für den Wirtschaftskrimi der Nachforschungen in Asien selbst wird Geld benötigt, um Spionagefachleute bezahlen zu können. Deshalb seien hier abschließend die Kontaktadresse und das Spendenkonto genannt:

Gesellschaft zur Rettung der Delphine e.V., Allacher Str. 128, 8000 München 50, Tel. 089-1409099 — Konten bei allen Sparkassen: 3030.