Exilkubaner im kalten Krieg

Schlechte Aussichten auch nach Castro  ■ Von Eugenio Rodriguez

Fast 30 Jahre habe ich gebraucht, um zu begreifen, daß ich ein Opfer des kalten Krieges bin — und vermutlich bleiben werde, solange ich lebe. Ich verstehe inzwischen, daß meine Entscheidung, im November 1961 Kuba zu verlassen, 17 Jahre alt und schon von der Revolution desillusioniert, weit davon entfernt war, nur meine persönliche zu sein. Die US-amerikanische Regierung hatte wesentlich mehr damit zu tun, als ich damals glaubte.

Was wußte ich schon, ein gerade erwachsen gewordener Junge, als ich nach kurzem Flug aus der Pan- Am-Maschine in einen heißen Morgen in Miami entlassen wurde. Woher sollte ich wissen, daß meine Entscheidung alles mit der Mauer in Berlin und kaum etwas mit dem Mangel an Demokratie und der fehlenden Achtung für die Menschenrechte in Kuba zu tun hatte?

Hätte Castro als der rücksichtslose Diktator, der er ist, eine positive Haltung gegenüber den US-amerikanischen Interessen gehabt, wäre er eben nur ein Pinochet oder Duvalier gewesen, hätte es keine bevorzugten Visa für kubanische Exilanten gegeben und kein vom CIA gesteuertes 'Radio Swan‘ gegeben, das uns unter der Vorspiegelung von Rebellion ermutigte, die Insel zu verlassen. Was wäre passiert, wenn wir in Kuba geblieben wären? Viele von uns wären tot oder hätten lange Gefängniszeiten hinter sich. Mancher hätte unter der gnadenlosen Repression aufgegeben und den Regierungsplan de rehabilitación akzeptiert, sogar darum gebettelt. Aber ich bezweifele, daß sich Castros Regime ohne uns hätte konsolidieren können; und auch die Schweinebucht wäre nicht passiert, das größte CIA-Desaster des kalten Krieges.

Auch heute noch, 29 Jahre (inszwischen sind es 30 Jahre, Anm. d. Red.) nach diesem heißen Morgen in Miami und in Zeiten der Entstalinisierung, benutzt Castro weiterhin das Argument, daß der Feind nur 180 Kilometer entfernt stehe, um seine Eiserne-Vorhang-Version des Kommunismus beizubehalten. Und die Bush-Regierung samt Bush-Sohn Jeb mit seinen mächtigen kubanisch- amerikanischen Freunden in Miami behält die Politik der Feindseligkeit und Isolation bei und hilft so, Castros politische Relevanz aufrechtzuerhalten. Jeb, der Sohn von Präsident Bush, lebt in Miami und genießt seit vielen Jahren die politische und geschäftliche Unterstützung reicher Kuba-Amerikaner. Er ist inzwischen Kompagnon von Armado Codina, einem erfolgreichen Bodenspekulanten und ersten kubanischstämmigen Präsidenten der Handelskammer von Miami. Codina ist außerdem einer der Direktoren der Cuban American National Foundation, der führenden Anti-Castro-Lobby, die durch einen reichen kubanisch-amerikanischen Geschäftsmann finanziert wird. Der Chef dieser Organisation ist Jorge Mas Canosa, der mit seiner Aussage, er wolle nach Castro Präsident von Kuba werden, im 'Miami Herald‘ zitiert wurde; die Bemerkung bestreitet er jetzt. Sowohl Reagan als auch sein Nachfolger Bush beriefen Canosa als Vorsitzenden des präsidialen Beratungsdirektoriums für 'Radio Martí‘ (RM), den US-amerikanischen Sender, der nach Kuba ausstrahlt.

Canosa ist Veteran der vom CIA dirigierten Invasion Kubas im April 1961, bekannt als Invasion in der Schweinebucht. Er wurde als Exilkubaner von der US-Regierung benutzt und lernte später, wie das US- amerikanische System funktioniert und wie es manipuliert werden kann. Inzwischen ist es nicht mehr so einfach zu entscheiden, wer hier wen benutzt. Seine Herrschaft im US-finanzierten RM zeigt allerdings, daß er — obwohl er gerne Sonntagsreden über den Wert der Demokratie hält — eher ein neuer caudillo in spe ist.

Ich habe bei RM gearbeitet, und zwar vom allerersten Tag an, dem 20. Mai 1985. Nach zwei Jahren verließ ich den Sender, nachdem ich lange erfolglos gegen das autokratische, unprofessionelle, aber politisch mächtige Management dort gekämpft habe.

Das in Washington ansässige Radio hätte ein Schulbeispiel für das Kuba der Zukunft werden können, in dem Demokratie und Professionalismus die wichtigsten Faktoren sind. Statt dessen jedoch ließ sein Direktor Ernesto Betancourt zu, daß Angst und Unterdrückung an der Tagesordnung waren; nach einer kurzen Versuchsphase, die elementaren Regeln redaktioneller Standards einzuhalten, beschloß er offenbar, den Weg des geringeren Widerstands zu gehen. Er ließ Interviews stellen und erlaubte, daß unbestätigte Berichte gesendet wurden. Damit verletzte er den Grundsatz, dem der Sender seine Existenz verdankt, die Forderung nämlich nach objektiver und ausgewogener Berichterstattung.

Um meinen Ruf als Nachrichtenjournalist zu retten, ließ ich unter meinen Kollegen eine Petition zirkulieren, in der der Direktor der 'Stimme Amerikas‘, Richard Carlson, aufgefordert wird, eine interne Untersuchungskommission in Bezug auf die „administrativen Irregularitäten“ bei RM anzusetzen. Carlson war gesetzlich zur Aufsicht von RM verpflichtet, hat sich jedoch nie gegen die mächtigen Cubanos gestellt. Ich schaltete auch die Gewerkschaft der Regierungsangestellten in den Fall ein, um die mächtige Cubano- Clique zu bekämpfen, die mit Segen des Weißen Hauses den Sender beherrscht. Von diesem Tag an galt ich als „Subversiver“. Abteilungsleiter erzählten ihren Angestellten, daß die Gewerkschaft den Sender aus politischen Motiven vernichten wolle, und es wurde das Gerücht ausgestreut, ich sei womöglich ein Agent Castros. Der CIA-Veteran Cord Meyer, ein vielerorten publizierender Kolumnist und Freund von RM-Direktor Betancourt, schrieb in der 'Washington Times‘: „Mr. Betancourt hat seine Besorgnis darüber geäußert, daß seine Angestellten zum Angriffsziel kubanischer Geheimdienstinfiltrationen gemacht werden.“

So mancher, der sich die Anschauungen von Mas Canosa nicht zu eigen machen wollte, ist aus den spanischsprachigen Sendern Miamis, einschließlich RM, schon herausgeflogen. Auch der unter Exilkubanern hochgeachtete politische Kommentator Carlos Alberto Mantaner stimmt politisch mit Canosa nicht überein; ihm wurde kürzlich mitgeteilt, daß RM für seine Beiträge keinerlei Verwendung mehr habe. Selbst der mächtige 'Miami Herald‘, durch seine Lateinamerika-Berichterstattung als eine der besten Zeitungen des Landes anerkannt, wagt keinen Konflikt mit Canosa. Der Streit zwischen Exilkubanern und Dissidenten von der Insel dreht sich um die Frage, ob man eine evolutionäre Entwicklung Richtung Demokratie wie in Polen, Ungarn und Ostdeutschland fördern oder ob man die US-Politik der wirtschaftlichen Strangulierung unterstützen solle, jetzt, da Moskau nicht länger Castros Rechnungen bezahlen will. Indem man das kubanische Volk ins Elend treibt, so die These, könnte man em ehesten einen Coup d'état provozieren oder gar eine Revolte der Bevölkerung nach rumänischem Muster.

Im letzten Jahr verkündete Mas Canosa, er habe in Vorbereitung des Wiederaufbaus von Kuba bereits Gespräche mit europäischen Magnaten und an der Wall Street geführt. Fiele Castro auf ähnliche Weise wie Ceausescu, würde das darauffolgende Chaos und Machtvakuum Canosa zweifellos den Weg ebnen. Er wäre dann der einzig vorhandene Verhandlungspartner, an dem vorbei niemand zu Macht und Einfluß gelangen könnte. Die Herren der Cuban American National Foundation rechnen sich wie Bodenspekulanten und viele andere große Profite durch den Aufbau Kubas aus. Und Castro hat US-amerikanische Feindseligkeit immer als Alibi benutzt, um an Nationalgefühle zu appellieren und die Repression, durch die er seine Macht erhält, zu rechtfertigen.

29 (bzw. 30, d.Red.) Jahre nach meinem Weggang aus Kuba unterrichte ich in den USA Einwanderer und Flüchtlinge in Englisch; das war die einzige Arbeit, die ich in Miami kriegen konnte, obwohl meine Arbeit als Journalist und Schriftsteller nicht nur einmal ausgezeichnet worden ist. Aber man sieht in mir offenbar nur noch den Querulanten, und ich frage mich, ob es sich lohnen könnte, zu Castro auf die Insel zurückzugehen. Oder ob ich ewig ein Opfer des kalten Krieges bleiben werde?

Eugenio Rodriguez ist freier Journalist in Miami.