Im Land der Zombies

Ein Besuch in Malawi  ■ Von Adewale Maya-Pearce

„Das System in Malawi, unser Stil ist, daß Kamuzu ansagt, was Sache ist, und damit basta. Ob das allen paßt oder nicht, so ist es nun mal hier. No nonsense. Man kann nicht alle über alles mitreden lassen.“

(Ngwazi Dr. H. Kamuzu Banda, Präsident von Malawi auf Lebenszeit)

Unser Präsident ist ein kluger Mann“, sagte Stephen, der Taxifahrer, zu mir auf der Fahrt vom Flughafen nach Lilongwe. Er konnte eigentlich auch gar nichts anderes sagen. Schließlich kannte er mich nicht, und ich wußte immerhin genug über Malawi, um würdigen zu können, daß ein loses Mundwerk gefährlich war.

Drei Tage später traf ich Stephen wieder. Dieses Mal war er weniger ausweichend. Ich hatte ihm allerdings nach wohlweislicher Überlegung inzwischen anvertraut, warum ich in Malawi war. Ich erzählte ihm, daß ich für eine Zeitschrift arbeite, die über Zensur in aller Welt berichtet, und, um ins Land zu gelangen, meinen wirklichen Beruf nicht angegeben hatte. Ich sagte ihm auch, daß Malawi als eines der Länder gilt, in dem die Menschenrechte am schlimmsten mißachtet würden. Die Tatsache, daß prinzipiell kein ausländischer Journalist ins Land dürfe, bestätige dies nur. Und ich fügte noch hinzu, daß Schriftsteller besonders über die Gefängnishaft von Jack Mapanje empört sind, einem Dozenten und Dichter, der seit nunmehr dreieinhalb Jahren ohne Anklage und Prozeß festgehalten wird.

„Wer ist Mapanje?“ fragte Stephen. „Nie von ihm gehört.“

Ich sagte es ihm. Er schwieg einen Moment. Dann sagte er, aber so leise, daß ich mich zu ihm beugen mußte, um die Worte zu verstehen: „Da kann der Präsident nichts für.“ „Aber wer dann?“ „Haben Sie von John Tembo gehört? Er war es. Er ist verantwortlich. Er ist ein schrecklicher Mensch. Jeder haßt ihn.“

John Tembo ist der Onkel der „offiziellen Helferin“ des Präsidenten, Mama Tamanda Kadzamira. Ihnen beiden wird zugeschrieben, die wirkliche Macht in den Händen zu halten — eine durchaus plausible Vorstellung, wenn man das hohe Alter Bandas bedenkt.

„Was ist so schrecklich an ihm?“ fragte ich.

„Er befiehlt dem Präsidenten zu morden. Er war es auch, der dafür sorgte, daß Matenje und die anderen starben. Sie sagen zwar, daß es ein Autounfall war, aber wir wissen alle, daß es Tembo war, der das getan hat.“

Dick Matenje war Generalsekretär der herrschenden Malawi-Congress-Partei und als solcher nach dem Präsidenten der mächtigste Mann des Landes. Am 17. Mai 1983 war er nach einem Kabinettstreffen auf dem Weg nach Hause bei einem Autounfall umgekommen, zusammen mit Aaron Gadama, Minister der Zentralregion und Parlamentsvorsitzender, sowie John Twaibu Sangala, dem Gesundheitsminister. Offenbar hatten die Polizisten, die zuerst am Unfallort eintrafen, entsetzt festgestellt, daß alle Leichen frische Einschußwunden aufwiesen; bevor sie jedoch Zeit hatten, die Sache genauer zu untersuchen, erhielten sie Befehl von oben, die Leichname in versiegelte Särge zu legen und nicht mit Presseleuten zu sprechen. Später sickerte durch, daß Mantenje und die beiden Minister auf dem morgendlichen Kabinettstreffen gegen einen Antrag gestimmt hatten, für Tembo einen neuen Posten zu schaffen, nämlich den des Premierministers. Durch solch einen Schachzug wäre der Generalsekretär entmachtet gewesen.

Stephen bestätigte meine Version der Ereignisse, aber ich merkte, daß er während unseres Gesprächs immer nervöser wurde. Ständig sah er demonstrativ zu einem Mann hinüber, der, gerade noch außer Hörweite, am Nebentisch saß. „Über solche Sachen zu sprechen, ist gefährlich. Die Regierung hat ihre Agenten, die überall sind und dafür bezahlt werden zu hören, was gesagt wird, gerade an Orten wie diesem hier.“ Er lachte nervös und zeigte auf den leeren Stuhl neben sich: „Selbst dieser Stuhl hier hat Ohren.“ Ich zögerte, unser Gespräch zu beenden, aber ich wollte Stephen nicht in Schwierigkeiten bringen. Landesverrat ist ein sehr elastischer Begriff in Malawi: In Nullkommanichts säße Stephen hinter Gittern, während mir nichts weiter geschehen würde, außer den nächsten Flug heimwärts nehmen zu müssen. Bevor wir uns trennten, sagte ich noch, daß ich am nächsten Tag, einem Freitag, nach Zomba führe, ihn jedoch am Sonntag nach meiner Rückkehr gern noch einmal träfe.

Zwischen Lilongwe und Zomba verkehrt ein regelmäßiger Flugservice, aber ich nahm für die 350 Kilometer lieber den Bus. Ich wollte das Land sehen — und nicht nur von oben. Die erste Hälfte der Route führt unmittelbar an der mosambikanischen Grenze entlang, und der Gegensatz zwischen den beiden Ländern ist unübersehbar. Saubere, friedlich daliegende Dörfer auf der malawischen Seite, völlige Zerstörung auf der anderen. Es war schier unglaublich, daß jedes einzelne Gebäude auf der einen Seite der Straße zusammengeschossen, ausgebrannt oder seinem langsamen Zusammenbruch überlassen war, in einer Landschaft, die sich dahinter weit und leer bis zu den Bergen in der Ferne hinstreckte; daß dagegen einfache vier Meter Asphalt ausreichen sollten, um auf der anderen Seite einen so dramatisch anderen Eindruck zu machen. Die Straße schien nicht einfach nur Straße zu sein, sondern eine undurchdringliche Wand zwischen zwei verschiedenen Welten.

Und es waren verschiedene Welten: Mosambik, die vom Krieg zerrissene ehemalige Kolonie Portugals, ist ein marxistischer Staat mit Demokratisierungsbestrebungen; die ehemals britische Kolonie Malawi wird seit der Unabhängigkeit 1964 von einem einzigen Mann regiert, der wahlweise als „letzter wahrer Presbyterianer“ oder schlicht als „Neurotiker“ bezeichnet wird. Der eiserne Griff, mit dem Banda das Land umklammert hält, ist so total, daß sogar Kleidungsfragen von seiner persönlichen Auffassung von Schicklichkeit diktiert werden. So informierte mich beispielsweise die Hotelbroschüre in Lilongwe — 1991! — darüber, daß „Herren keine Hosen mit Schlag“ tragen dürfen und daß es den Frauen, die ohnehin keine langen Hosen tragen dürfen, strengstens verboten ist, „in aufrechter Haltung (...), die Füße nicht weiter als 25 Zentimeter auseinander“, ihre Knie dem öffentlichen Blick auszusetzen. Das diesen Regeln unterliegende Gesetzeswerk heißt „Gesetz über die Schicklichkeit der Kleidung“ und wurde 1973 erlassen. Wer dagegen verstößt, kann mit sechs Monaten Gefängnis bestraft werden. Banda selbst erscheint in der Öffentlichkeit nie ohne Anzug mit Weste und Homburg.

Zu sagen, daß Banda einer „von der alten Schule“ ist, ist pure Untertreibung. Philip Shorts Biographie zufolge war der zukünftige Präsident auf Lebenszeit „entsetzt“, als er bei seiner ersten Reise nach Glasgow sah, wie viele Kneipen es dort gab. Das war 1937. Während seines Medizinstudiums in Edinburgh zeigte er sich „schockiert“ darüber, daß „in der Heimat und Hochburg der Kirche von Schottland“ Männern erlaubt sein sollte, die Ehefrauen anderer Männer zum Zwecke des Tanzes anzufassen. Vermutlich reagierten seine schottischen Gastgeber nur amüsiert über diesen harmlosen kleinen Exzentriker aus der damals Nyasaland genannten unbedeutenden Kolonie. Wer hätte damals schon ahnen können, daß der zu der Zeit bereits fast Vierzigjährige einmal einer der rücksichtslosesten und effizientesten Diktatoren Afrikas werden sollte, einem Kontinent, der in dieser Hinsicht seit der Unabhängigkeit vor 30 Jahren keinen Mangel gekannt hat.

Ein Land ohne Opposition

In Malawi gibt es keine Opposition. Punkt. Soviel war bereits Monate nach der Unabhängigkeit klar, auch wenn manche, von der Euphorie des neuen politischen Systems mitgerissen (endlich frei!), den Charakter des Herren noch unterschätzten und gerne etwas anderes glauben wollten. Sie bemerkten ihren Irrtum schnell. Einer von ihnen war Martin Machipisa Munthali, der 1965 wegen seiner angeblichen Rolle verhaftet wurde, die er in der bewaffneten Opposition zur Regierung spielte. Seit diesem Tage sitzt er im Gefängnis — der am längsten inhaftierte politische Gefangene des Landes. Ein Gerücht besagt, daß er in einem Prozeß wegen Besitzes illegaler Waffen angeklagt und zu neun Jahren Haft verurteilt wurde. Die Tatsache jedoch, daß selbst sein Prozeß nur Gegenstand von Gerüchten ist, wirft ein schlagendes Licht auf den Begriff von Gesetz und Recht, der in Malawi mit Banda anfängt und mit Banda aufhört.

„Ich werde sie hier festhalten und verrotten lassen“, hat er einmal über ein neuerbautes Gefängnis für politiche Oppositionelle gesagt. „Und ich werde dafür sorgen, daß wir außer den regulären Gefängnisbeamten noch andere Wächter dort haben, die wissen, wie man mit solchen Dummköpfen umgeht.“ Wenige Tage vor Prozeßbeginn gegen einen Rebellen ließ er Richter und Jury durchaus nicht im unklaren darüber, welches Urteil er von ihnen erwartete: „Ich weiß, daß er für schuldig befunden wird. Welcher Richter sollte Silombela wohl freisprechen? (...) Er wird für schuldig befunden werden. Und danach werden Sie kommen und ihn hängen sehen. Das ist alles.“

Das Beste, was man über Banda als Bestes sagen kann, ist, daß er nicht heuchelt. „Wenn ich 10.000 oder 100.000 von ihnen einsperren muß, um politische Stabilität und Effektivität in der Verwaltung zu erhalten, dann tue ich das“, sagte er bei einer anderen Gelegenheit. „Keiner soll mich mißverstehen. Ich werde jeden einsperren, der die politische Stabilität dieses Landes bedroht.“ Das ist zumindest deutlich — und es ist nicht verwunderlich, daß Malawi, bei solcher Klarheit der politischen Linie und der Widerspruchslosigkeit, mit der sie in die Praxis umgesetzt wird, als „Land der Zombies“ bezeichnet wird. So nannte es Mike Hall, einer der beiden letzten ausländischen Korrespondenten. Er wurde im Februar letzten Jahres hinausgeworfen, weil er in die falsche Richtung „spekuliert“ hatte. „Keiner sagt etwas, weil keiner etwas zu sagen wagt“, hatte er geschrieben — und dennoch... Als der Bus weiter nach Westen fuhr und die Grenze nach Mosambik verließ, langsam seinem gewundenen Weg über die Berge nach Zomba folgend, war ich wider besseres Wissen beeindruckt von der Friedlichkeit und Ordnung der Dörfer entlang des Weges und der offensichtlichen Zufriedenheit der Menschen, denen zumindest die Schrecken erspart geblieben sind, die hinter den Grenzen auf allen Seiten dieses küstenlosen Landes herrschten.

Nicht nur Mosambik ist ja am Ende. Sambia ist zusammengebrochen, Zaire nicht mehr zu retten, und Tansania, früher Lieblingskind der Linken, produziert nur noch Endlos- Rhetorik, mit der es das unverbrüchliche Recht des Individuums proklamiert und den bekannten autoritären Stil praktiziert, der kaum von dem in Malawi zu unterscheiden ist. Der Unterschied ist nur, daß das Leben in Malawi funktionierte und — mehr noch —, die Menschen das auch wußten. So wie der Lehrer, der fast während der gesamten Busfahrt neben mir saß.

„Ja. Malawi ist ein friedliches Land. Wir haben keine Probleme.“

„Wie kommt das?“

„Kluge Führung“, sagte er. „Mit unserem Präsidenten haben wir Glück gehabt.“

Die Täuschung der Intellektuellen

Ich hatte keinen Grund, ihm nicht zu glauben oder zu meinen, er verstelle sich vor mir. Die meisten Menschen sind eben keine unzufriedenen Intellektuellen; sie wollen in erster Linie in Ruhe gelassen werden, ihr Leben leben und ihre Kinder großziehen. Es ist ein typischer Intellektuellenirrtum zu meinen, daß die ganze Bevölkerung deshalb gleich zu einer Art quietistischen Spezies mutieren muß — nur weil das politische System, das Stabilität garantiert, gleichzeitig von ihnen fordert, die Haft ihres berühmtesten Dichters zu übersehen oder gar zu entschuldigen.

Mapanje hatte auf einer Konferenz in Europa ein Jahr vor seiner Verhaftung gesagt: „Ich denke, Malawi sollte stolz darauf sein, daß einer seiner Söhne ihm einen Platz in der literarischen Welt gegeben hat.“

Aber leider ist dem nicht so. Ein Dichter kann nur dann ins Gefängnis geworfen werden, wenn der Mann und die Frau auf der Straße zustimmen — oder zumindest schweigen—, das heißt, wenn sie gewillt sind zu glauben, daß dieser Stand der Dinge in irgendeiner Form notwendig ist für ihr Sicherheitsgefühl oder die Stabilität ihres Milieus.

Es war schon ein merkwürdiges Gefühl, bei der Ankunft in der alten Kolonialhauptstadt Zomba, die bis heute ihren nach wie vor exklusiven Gymkhana-Club hat, an Mapanje denken zu müssen, der nicht fern von hier im Mikuyu-Gefängnis vielleicht gerade jetzt, um vier Uhr nachmittags, die alltägliche Pappe aus Maismehlbrei und Bohnen vorgesetzt kriegt, die einzige Nahrung seiner drei verlorenen Jahre. Zu diesem wußte ich noch nicht und sollte es auch erst am nächsten Abend erfahren, daß Mapanje nicht mehr im Gefängnis war, sondern wieder ein freier Mann, und daß ihn die Nachricht seiner Entlassung genau um diese Uhrzeit — vier Uhr nachmittags — erreichte, als ich Gymkhana- Club-Bier trank und darüber staunte, wie wenig seit der Kolonialzeit sich geändert zu haben schien. Das Kricketfeld wurde weiterhin ausgezeichnet gepflegt, und die Schwarzen verhielten sich immer noch ehrerbietig gegenüber den Weißen und den Indern, die untereinander die Herrschaft über die Ökonomie der kleinen Stadt aufgeteilt zu haben scheinen.

Paul war es, selbst ein Schrifsteller, der mir bei unserem ersten Treffen die gute Nachricht überbrachte. Nach ersten vorsichtigen Berichten hatte der Generalinspekteur der Polizei Jack persönlich mitgeteilt, daß die internationale Empörung über seine Haft „die Regierung verunsichert“ habe, daß dies jedoch allein noch nicht zu seiner Entlassung gereicht habe. Er hatte Jack eine Liste mit Gefangenen gezeigt, vom Januar dieses Jahres, auf der Banda hinter seinen Namen „niemals“ gekritzelt hatte. Dieser Mann sagte weiter, daß

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der entscheidende Druck von der Europäischen Gemeinschaft ausgegangen sei. Die Eg habe damit gedroht, bereits versprochene Hilfsgelder solange nicht zu zahlen, bis die Regierung sichtbare Schritte zur Verbesserung der Menschenrechtssituation unternähme. Dies erklärt vielleicht auch die folgende Schlagzeile am nächsten Tag auf der ersten Seite der 'Malawi News‘: „EG bietet 14 Millionen für Flüchtlinge.“ Möglich ist auch, daß die beiden Ereignisse nichts miteinander zu tun hatten. Da jedoch weder in der 'Malawi News‘ noch in der einzigen anderen Zeitung des Landes, der 'Daily Times‘, am nächsten Montag von Jack die Rede war, blieb einem nichts anderes als Spekulationen in die Richtung, die einem persönlich am meisten liegen.

Und genau damit war Paul beschäftigt. „Sag mal, wie ist das? Du bist am Dienstag nach Malawi gekommen, Jack wurde am Freitag entlassen. Was war da los? Wie hast du das geschafft?“ fragte er mich.

Zuerst mußte ich lachen. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß er das ernst meinte, aber ich irrte mich.

„Ich bin doch nicht blöd“, meinte er noch, „du kannst mir doch nicht vormachen, daß das Zufall ist, und dann noch erwarten, daß ich dir das abnehme.“

„Wahre Geschichten“ statt Information

Ich war erstaunt über die Irritation in seiner Stimme, die ich zu hören meinte, aber ich merkte auch schnell, daß er nicht so sehr über mich irritiert war als vielmehr frustiert über die Gesellschaft, in der er lebte. Er wußte nicht, warum Jack verhaftet worden war; er wußte ebensowenig, warum man ihn nun entlassen hatte. Das bedeutete ja nichts anderes, als daß sie jederzeit auch ihm an den Kragen gehen könnten — morgen, in einem Monat, in einem Jahr —, und er wäre dann ebenso schuldig wie der Mann in Kafkas Roman, eben weil „sie“, die unsichtbar blieben, es sagten. Banda drückte es in einem Kommentar zu einem weiteren Gerichtsverfahren gegen einen weiteren Verschwörer, der angeblich Frieden und Stabilität des Landes unterminieren wollte, folgendermaßen aus: „Wir müssen daran denken, daß Mangel an Beweisen kein Beweis für Unschuld ist.“ So ist es.

„Du hast keine Ahnung, wie das ist, hier zu leben“, brach es plötzlich aus Paul heraus. „Wir waren alle entsetzt, als sie Jack verhafteten, aber was konnten wir tun? Wir mußten den Mund halten und so tun, als sei nichts passiert. Und dann haben wir uns damit getröstet, daß wenigstens im Ausland etwas geschieht. Wenigstens gab es Leute, die Krach schlugen. Und das hat Jack sehr geholfen.“ Er schaute traurig in sein Bier und zuckte mit den Schultern. Ich machte, daß ich wegkam.

Paul hatte natürlich vollkommen recht. Ich wußte nicht, wie es war, hier leben zu müssen. Ich wußte nicht, was es bedeutet, in einem Land einigermaßen normal über die Runden zu kommen, in dem, wie es der exilierte Dichter Frank Chipasula ausgedrückt hat, „die Angst kunstvoll gewoben ist wie ein Schleppnetz, das seine eisernen Maschen fester zieht um jede Hütte“. Ich konnte nur aus der Ferne sympathisieren oder, so wie jetzt, Katz und Maus mit der Einwanderungsbehörde spielen — aus einer Position relativer Sicherheit. Aber ich konnte in Pauls Ausbruch auch die Ahnung eines schrecklichen Schuldgefühls erkennen, das er mit sich schleppte, weil er, wie Frank Chipasula es im Vorwort zu dem oben zitierten Gedicht genannt hat, sich in die „furchtbare Muschel des Schweigens“ hatte drängen lassen. Dies ist eine Gleichung des Terrors: Angst plus Schuldgefühl gleich Lähmung.

Wir trennten uns, und ich traf ihn kein zweites Mal. Am nächsten Morgen fuhr ich sehr früh den gleichen Weg, den ich vor zwei Tagen gekommen war, nach Lilongwe zurück. Dort traf ich Stephen noch einmal, wie wir es ausgemacht hatten.

Und es war Stephen — jetzt deutlich entspannter in meiner Gegenwart —, dessen Andeutungen zufolge hier doch nicht alles so friedlich ist, wie es auf den ersten Blick den Anschein hat. Unter der Oberfläche dieser angeblichen Stabilität lauert ein Potential für Gewalt, das eines Tages — und zwar bald — das Land in ein zweites Mosambik verwandeln könnte. Nach unserem letzten Gespräch hatte ich über einiges nachgedacht und fragte ihn jetzt, was eigentlich passieren würde, wenn Banda stirbt. Er lächelte, dachte einen Moment nach und erzählte dann die folgende Geschichte: Vor wenigen Monaten war der alte Mann tatsächlich schon in ein Koma gefallen. John Tembo und Mama Kadzamira rasten zum Flughafen, weil sie meinten, er sei tot, aber kurz vor dem Einstieg in ihr Privatflugzeug wurden sie zurückgerufen: Banda hatte überlebt und fragte nach ihnen.

Es ist gleichgültig, ob die Geschichte stimmte oder nicht. Stephen glaubte sie, und in diesem Sinne war sie wahr. Außerdem erzählte er nur eine Geschichte weiter, die er von jemandem gehört hatte — und genau so funktioniert der öffentliche Diskurs in Ländern, in denen keiner sagen darf, was er denkt. Mit anderen Worten: die Geschiche besaß gewissermaßen eine höhere Wahrheit, nämlich die des kollektiven Gefühls — man mußte sie nur zu entziffern verstehen.

Dafür ist eine Woche wohl kaum genug — aber die Angst vor dem Chaos konnte man doch nicht übersehen, die sich hier überall ausbreitet. „Unser Präsident ist ein kluger Mann“, sagte Stephen, „kluge Führung“, hatte der Lehrer im Bus hinzugefügt. Aber wenn Banda auf dem Sterbebett läge, wer sollte dann die Nation regieren? Seine falschen Erben gewiß nicht, die ohnehin wissen, daß der sterbende Mann die Nation ist, und die, so schlimm sie wohl wirklich sind, in den Köpfen derer, die sich einen Reim auf Bandas Herrschaft machen müssen, nie etwas anderes als schlimm sein können.

Banda hat durchaus recht. Es ist nicht so schwer, Frieden und Stabilität — kurzfristig — zu ereichen, vorausgesetzt, man ist bereit, dafür genügend Menschen einzusperren und zu töten. Die Bevölkerung wird einen sogar noch preisen und Statuen aufstellen, vor denen sie sich verbeugen und Opfer darbringen kann: Kamuzu Internationaler Flughafen, Kamuzu Stadium, Kamuzu Autobahn... Weniger bekannt ist der Preis, der langfristig dafür gezahlt werden muß: die tiefsitzenden Neurosen unter der scheinbaren Ruhe. Sie könnten plötzlich ausbrechen und schreckliche Rache fordern.

Adewale Maya-Pearce ist Schriftsteller und Afrika-Experte für 'Index on Censorship‘; kürzlich veröffentlichte er eine Sammmlung seiner Aufsätze und Reportagen zum Thema im Heinemann-Verlag, London, unter dem Titel „Who is Afraid of Wole Soyinka. Essays on Censorship“.