INTERVIEW
: Vom alten Modell antirassistischer Arbeit abkommen

■ Ozan Ceyhun vom Netzwerk SOS-Rassismus zu Arbeit und Schwierigkeiten der Organisation

taz: Denkt man an eure erfolgreiche Schwesterorganisation in Frankreich, denkt man an die aktuellen Ausschreitungen gegen Nichtdeutsche in diesem Land, so müßtet ihr eigentlich einen enormen Zulauf haben, müßtet ständig von euch reden machen. Warum ist das nicht so?

Ceyhun: Es gibt uns hier seit zwei Jahren. Und seit dieser Zeit leiden wir unter einem bekannten Problem. In dem Bereich Ausländerpolitik, Flüchtlingsarbeit, Antirassismus, Antifaschismus existieren sehr viele Initiativen, neben denen es eine neue Initiative — also SOS-Rassismus — nicht leicht hat.

Weshalb?

Manche der seit Jahren aktiven Gruppen betrachteten und betrachten uns zum Teil auch jetzt noch als Konkurrenz. Sie haben es uns nicht gerade leicht gemacht: So wurde uns nachgesagt, daß wir nicht besonders ernst zu nehmen seien, oder — wahrscheinlich weil die Partei unsere Broschüren etc. finanziert — daß wir den Grünen zu nahe stünden. Es gibt meiner Ansicht nach aber auch noch andere Gründe dafür, daß es SOS-Rassismus so schwer fällt, öffentlich zu wirken. Unsere aktiven Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind fast ausschließlich Immigranten, also keine bekannten Personen.

Da haben es Pfarrer, Gewerkschafter und andere Experten natürlich leichter, sich in den Medien durchzusetzen. Außerdem sind wir finanziell schlecht ausgestattet, was auch damit zusammenhängt, daß Prominente, die am Anfang auf den Zug SOS aufgespungen sind, um ja nichts zu verpassen, jetzt kaum noch oder gar nicht mehr für uns werben. Schließlich hatten wir ziemliche Startschwierigkeiten. So konnte etwa das französische SOS-Rassicme nicht so einfach mit uns zusammenarbeiten, weil sie Vereinbarungen mit anderen Gruppen in der Bundesrepublik hatten. Mittlerweile ist diese ganz mühsame Phase vorbei.

Sind eure Probleme mit einigen anderen Initiativen — oder deren Probleme mit euch — nicht auch teilweise ein typischer Strömungsstreit? Du beispielsweise giltst in Sachen Ausländerpolitik als harter Realo, der ein grünes Einwanderungsgesetz mit Quoten für Einwanderer fordert...

Nein, daß wir uns so abmühen müssen, hat nichts mit dem typischen grünen oder alternativen rechts-links Streit zu tun. Wir werden auch ganz unterschiedlich beurteilt. So wirft man unserer Frankfurter Gruppe vor, daß sie dem grünen Stadtrat Daniel Cohn-Bendit zu nahe steht. Unsere Berliner Gruppe muß sich anhören, sie sei PDS-nahe. Die Leute aus Nordrhein-Westfalen gelten als zu sozialdemokratisch. Wir werden also ganz verschieden abgestempelt und auch das erschwert unsere Arbeit.

Allerdings möchte ich auch sagen, daß wir langsam erfolgreicher werden. Das hängt sicher mit Tagungen zusammen, die wir durchführen und mit unseren verschiedenen Aktionen auf lokaler Ebene. Wir haben nun etwa 150 Initiativen in ganz Deutschland, allerdings nur 50 bis 60 aktive Mitglieder auf Bundesebene. Gerade in letzter Zeit werden wir laufend um Aufklärungsmaterial, um Teilnahme an Aktionen, um Koordinationshilfe gebeten. Abgesehen davon, daß wir vieles wegen Geld- und Personalknappheit nicht leisten können, reichen uns diese Erfolge natürlich nicht. Unser Ziel ist, daß der Bereich Antirassismus in dieser Republik eine ganz andere Rolle, eine ganz andere Bedeutung bekommt.

Was heiß das?

Zum Beispiel, bewußt zu machen, wie völkisch diese Gesellschaft, dieser Staat noch immer ist. So gibt es beispielsweise — ganz anders als in Frankreich — keine namhaften Politiker, die die Arbeit von SOS-Rassismus unterstützen. Zum Beispiel ist es aber auch notwendig, etwas von dem alten Modell antirassistischer Arbeit abzukommen.

Bisher sind es immer ein paar deutsche Figuren, die bestimmte Bewegungen gründen und versuchen, diese zu kanalisieren. Notwendig ist eine stärker bürgerbewegte Initiative, die sich mehrheitlich aus Immigrantinnen und Immigranten zusammensetzt, welche selbst darüber entscheiden, wie sie antirassistische Arbeit gestalten: Mit Kampagnen, mit Gesetzentwürfen, etwa gegen Diskriminierung, mit Antidiskriminierungsdiensten in Büros überall auf lokaler Ebene, überhaupt mit einer Koordination aller Aktivitäten in diesem Bereich. Noch sind wir ganz am Anfang. Interview: Ferdos Forudastan