Ottos lustlose Kaninchen

■ Nach Werders 0:5 gegen Köln: Rehhagels Zeitalter vor dem Ende

Darauf hatte Willi Lemke lange gewartet: Die Südtribüne ist fast fertig, die VIPs können sich demnächst in den neuen Logen verlustieren, allein: Kaum jemand hat Lust, den Fußball mit anzusehen, der derzeit in Bremen geboten wird. Spätestens nach dem 0:5 beim 1.FC Köln ist klar: Werder Bremen steckt in der tiefsten Krise seit Otto der Große an der Weser das Zepter übernahm.

Zwar liegt Werder mit 15:15 Punkten auf Platz 11 der Tabelle gleich weit entfernt von Gut und Böse. Und der Sprung nach oben ist theoretisch nach wie vor möglich. Doch so unwahrscheinlich wie jetzt war er seit 1981 nicht mehr.

Ausgelaugt und ohne Spielfreude hatten die Bremer schon die letzte Saison hinter sich gebracht. Schon da mochten oftmals gerade noch etwas mehr als 10.000 ZuschauerInnen dem müden Kick folgen, obwohl Werder im letzten Jahr sogar noch an der Tabellenspize stand und schließlich Pokalsieger wurde.

Doch dieser Erfolg täuschte über die tiefe Krise beim SV Werder hinweg. Der Pokalgewinn war ein Sieg der kalten Routine über die Spielfreude. Ein solcher Sieg macht keinen Spaß. Die Jubelfeier in der Stadt war denn auch eher routiniert als überschwenglich. Wie große Fußballsiege in Bremen gefeiert werden, hatten die Fans noch vor zwei Jahren bewiesen, als Bremen Deutscher Meister war.

Bei Werder mochte man indes von Krise nichts hören. Es herrschte und herrscht Bunker- Mentalität. Unbotmäßige Journalisten werden von Rehhagel für Routinefragen angeschnauzt. Willi Lemke, der deutsche Meister im Sponsering, verkündete Rekordverkauf bei den Dauerkarten und folgerte daraus, daß Werder immer noch ‘in' ist. Doch dieser Rekord war eine öffentliche Selbsttäuschung. Denn die Kartenblocks gehen in großer Stückzahl an Sponsoren, die ihrerseits auf den Tickets sitzen bleiben. Zu der realen Zahl von Barzahlern bei Werders Heimspielen werden obligatorisch 8.000 Dauerkarteninhaber addiert: Egal, ob sie ins Stadion kommen oder nicht.

Das 0:5 gegen Köln ist kein unglücklicher Zufall, wie es ihn im Fußball immer wieder gibt. Es ist der überfällige Beweis dafür, daß Werder Bremen auf rasant abschüssiger Fahrt ist. Otto läßt keine Löwen mehr los, wie zu Zeiten von Völler und Riedle, sondern müde Kaninchen, die ohne Lust am Spiel, ohne Selbstvertrauen und ohne Mut zum Risiko vor sich hinkicken und vor jeder Blindschleiche in Ehrfurcht erstarren.

Immer, wenn sich nach Jahren des Erfolges das Blatt wendet, drohen die Erfolgreichen zur Karikatur ihrer selbst zu werden. Wie jezt Otto Rehhagel: In früheren Jahren war es Kennzeichen für Werders Unberechenbarkeit, wenn Rehhagel ständig die Mannschaftsaufstelltung änderte. Jetzt ist das ein Ausdruck von Hilflosigkeit. Die teuren Neulinge Kohn und Legat können sich nicht integrieren, statt dessen werden verdiente, aber verbrauchte Altrecken wie Otten oder Hermann zu neuen Hoffnungsträgern. Neubarth darf sich erst als Libero einen Namen machen. Kaum hat sich die Hintermannschaft mit ihm neu eingespielt, muß er wieder in die Sturmspitze, wo er Werders einzigem Nachwuchstalent, dem rührigen Marco Bode, den Platz wegnimmt. Der einzige, der bei Werder seinen Platz immer sicher hat, ist Torwart Oliver Reck, der inzwischen in allen Stadien zur Lachnummer geworden ist.

„Lächerlich“, sagte Willi Lemke kürzlich, als er gefragt wurde, ob Ottos Zeit nicht doch inzwischen abgelaufen ist. Und natürlich ist ein Platz im Mittelfeld der Bundesliga alleine kein Grund, den verdienten Arbeiter Rehhagel in die Wüste zu schicken. Doch die Frage, ob Rehhagel aus seinen Fußball-Beamten noch einmal Gipfelstürmer machen kann, steht im Raum und wird sich schon in den nächsten zwei Wochen vorentscheiden. Nach dem Bundesliga-Spitzenspiel gegen Kaiserslauern am nächsen Freitag und dem Europapokal- Rückspiel gegen Budapest in der darauffolgenden Woche kann Werder-Willi das Lachen schnell vergehen. Holger Bruns-Kösters