Türkei — von Demokratie weit weg

■ Journalist Aykol: „Nur wer sich politisch nicht engagiert, wird nicht verfolgt“

Am Samstag fand im Kulturzentrum Schlachthof eine Solidartätsveranstaltung mit der türkischen Zeitung „Yeni Ülke“ statt. Diese Zeitung wird von der türkischen Regierung immer wieder einmal verboten, verantwortliche Redakteure verhaftet. Aus Anlaß der Veranstaltung war „Yeni Ülke“-Redakteur Hüseyin Aykol in Bremen und zu Besuch in der taz- Redaktion.

Die türkische Regierung streitet ab, daß in ihrem Land systematisch gefoltert wird. Wenn gefoltert werde, so sei dies ein individueller Fehler einzelner Polizisten, der bestraft würde. Wie ist Ihre Erfahrung?

Hüseyin Aykol: Früher durfte über Folter nicht gesprochen werden. Die Staatsorgane sagten: Das gibt es nicht. Jetzt wird gesagt, es sind nur bestimmte Personen, die foltern, aber keine staatlich organisierte Folter. Ich gehe davon aus: Seit 70 Jahren gibt es in der Türkei systematische Folter. Aber ein ärztliches Attest, daß jemand unter Folter war, gibt es fast nie. Die Polizei unterdrückt den jeweilig untersuchenden Arzt. Und wenn der Rechtsanwalt einen Mandanten besuchen kann, ist es meist schon geschehen.

Können Sie als Journalist über Folter schreiben?

Ich bin selbst sechsmal verhaftet worden und habe erlebt, daß sie gefoltert haben. Es ist nicht

hier das dunkle foto

von dem Mann

Darf ein Journalist wie Hüseyin Aykol über Folter schreiben?FH

leicht, über die Folter zu schreiben. Wir tun es, aber man muß sehr darauf aufpassen, nicht gegen Gesetze zu verstoßen.

Meinungsfreiheit und Versammlungsfreiheit gibt es nicht?

Die Türkei ist weit entfernt von der Demokratie. Die entsprechenden Rechtsnormen gelten nicht. Ökonomisch gibt es die Verbindung zu Europa, bei den Menschenrechten nicht. Die Parlamente sind nur ein Instrument der nationalen Sicherheit.

Würde eine Integration der Türkei in die EG die Durchsetzung der Menschenrechte beschleunigen?

Erst einmal muß das türkische

Volk den demokratischen Prozeß voranbringen. Der Druck von außen kann kleine Änderungen bringen, aber mit kleinen Änderungen ist es nicht getan.

Jetzt ist Özals Partei abgewählt. Ist das eine Chance?

Es gibt eine nationale Sicherheitsstruktur, die sich seit der Gründnung der Türkei entwickelt hat. Die Personen spielen bei diesen Strukturen eine nicht so wichtige Rolle. Heute Özal, morgen Demirel und übermorgen irgendjemand anderes — der Nationale Sicherheitsrat bleibt.

Die türkische Regierung sagt, 95 Prozent der Kurden, die in die Bundesrepublik fliehen, seien Wirtschaftsflüchtlinge. Die anderen Verbrecher.

Es gibt einen Krieg zwischen der Regierung und den Guerilla- Kräften in Kurdistan. Auch unter den Menschen, die nach Istanbul oder in den Westen fliehen, gibt es Menschen, die nicht politisch verfolgt sind. Aber die Prozente sind anders: 95 Prozent sind politisch verfolgt und die anderen kommen aus irgendwelchen anderen Grünen.

Kurdische Flüchlinge werden vor deutschen Gerichten nur selten als „politisch verfolgt“ anerkannt. Die Richter sagen oft, die Kurden könnten ja in Istambul oder Ankara leben.

Natürlich gibt es in Kurdistan politische Verfolgung. Wer dann nach Istambul flieht, ist auch weiter ein politischer Mensch. Und die werden auch in Istambul verfolgt. Nur wenn Menschen ihre politische Identität verstecken, gibt es keine Verfolgung.

Kurdische Flüchtlinge in Bremen sind als Heroin-Dealer erwischt worden.

Auch in der Türkei wird das Rauschgift-Problem auf andere Nationalitäten abgeschoben. Da sagt man: Das waren die Pakistaner. Man sollte darin kein kurdenspezifisches Problem sehen. Es mag ja sein, daß Kurden dies tun. Aber man darf nicht allle deswegen als Heroinschmuggler abstempeln. Fragen: hbk