Wie ein Mythos zum Horror wurde

■ Asbest wird seit mehreren tausend Jahren genutzt, heute gilt es als eines der tückischsten Umweltgifte/ Die gesundheitlichen Folgen vom Umgang mit Asbest sind Staublunge und Krebs, das ist seit Jahrzehnten bekannt

Berlin (taz) — Die heilige Flamme züngelte aus feuerfestem Docht. Jungfräuliche Priesterinnen hüteten in den Tempeln Vestas, der Göttin des häuslichen Herdes, das ewige Feuer. „Asbesta“ nannte der Grieche Plutarch das unauslöschliche Licht und gab damit jener natürlichen Mineralgruppe den Namen, die über Jahrtausende dem Menschen als nützlicher Stoff galt.

Der Mythos ging, der Horror kam. Feuer- und Hitzebeständigkeit, hohe mechanische Festigkeit und hervorragende Verarbeitbarkeit lösten in diesem Jahrhundert den industriellen Siegeszug aus, der Asbest jetzt zum Schreckgespenst und zur Todesursache für Tausende macht. Die mikroskopisch feinen Fasern aus chemisch unterschiedlich zusammengesetztem Silikat (Siliziumoxyd)-Gestein sind heute buchstäblich überall: in Welldächern, Fassadenplatten, Trinkwasserrohren aus Asbestzement, in immer noch vielen Brems- und Kupplungsbelägen, in Dämmplatten aller Art, in Nachtspeicheröfen und eben auch in der Dichtungsmasse zwischen den (nicht nur) in der ehemaligen DDR so beliebten Betonplatten.

Doch der Wunderstoff hat eine böse Kehrseite. Das Material verwittert, altert, wird mechanisch beschädigt — und läßt dabei die Fasern erneut rieseln. Anfang der achtziger Jahre mußten Turnhallen in den alten Ländern im Dutzend geschlossen, abgerissen oder aufwendig saniert werden, weil die mikroskopischen Nadeln in hoher Konzentration die Atemluft der Sportenthusiasten verseuchten.

Auf die Gesundheit wirkt sich Asbest zweifach verheerend aus: einmal als Auslöser für die Staublungenerkrankung (Asbestose), von der fast ausschließlich Arbeiter betroffen sind, die regelmäßig hohen Asbestfaserkonzentrationen in der Atemluft ausgesetzt sind. Die nur einige tausendstel Millimeter langen hochfesten Fasern dringen dabei tief in die Lunge ein, wo jede einzelne im Lauf der Zeit von einem festes Narbengewebe umwachsen wird. Die Folge ist eine allmähliche Schrumpfung und Versteifung der Lunge, die wiederum Atemnot auslöst und am Ende zu Herzversagen führen kann. Zum andern wirkt Asbest direkt krebserregend. Die Wahrscheinlichkeit, ob jemand an Lungen- oder Bauchfellkrebs erkrankt, steigt mit der Menge der eingeatmeten Fasern und der Dauer der Einwirkung.

Heute kann das Material fast immer durch unproblematischere Stoffe ersetzt werden. Das Bundesgesundheitsamt hält eine Raumluftkonzentration von 1.000 Fasern pro Kubikmeter für tolerierbar, die Weltgesundheitsorganisation (WHO) nennt 500 Fasern akzeptabel. Gero