Blasen für den Frieden

■ Sonntägliches Militärkonzert vor dem Brandenburger Tor

Der Tiergartener Volksbildungsstadtrat Norbert Schmidt hatte die Idee, ein Konzert zu organisieren, das »... auf musikalischer Ebene die außergewöhnlich gute nachbarschaftliche Entwicklung in Europa verdeutlicht...«

So stoßen vier Military Big Bands aus Frankreich, Großbritannien, der Sowjetunion und Deutschland in ihre Hörner und Dudelsäcke, hauen auf Trommeln und Pauken.Natürlich hätte man gerne die Amerikaner dabei gehabt, aber die mußten ins Manöver ziehen (für den Frieden, versteht sich).

»Ein öffentlicher Auftritt der Bundeswehr vor dem Brandenburger Tor?« fragt Norbert Schmidt. »Gestern Utopie — heute neues Selbstverständnis der deutschen Nation«, gibt er sich selbst die Antwort. Das neue Selbstverständnis des aufspielenden »Heeresmusikkorps Ost der Bundeswehr« besteht darin, daß es als ehemalige NVA-Tröten-Truppe sein Repertoire von Liedgut wie Brüder, zur Sonne, zur Freiheit! auf Einigkeit und Recht und Freiheit etc. umgestellt hat.

»The Gordon Highlanders scheinen fest entschlossen, mit wehenden Fahnen in das Lager der Kriegsgegner überzulaufen. Richtig feminin sehen sie aus: Rotwangig, mit wehenden Kilts, die lustigen Bärenfellmützen fest auf die Köpfe gepreßt, singen und spielen sie I know him so well... und Highland Cathedral.

Alle auf dem Platz denken und fühlen nur das eine: Die Jungs wollen nach Hause. Das »Orchester der Westgruppe der Sowjetischen Streitkräfte« ist da schon schneidiger: Kalinka und der armenische Säbeltanz dröhnen aus den Lautsprecherboxen, hören sich jedoch etwas trotzig angesichts der gewaltigen Probleme fern in der Heimat an.

Das sieht auch Ovid Leonties so, der Koordinator dieser Veranstaltung. Er zeigt sich sensibel und überreicht den sowjetischen Musikern ein Handgeld, während sich die anderen mit jeweils einem freien Essen sowie drei freien Getränken zufriedengeben müssen. Anschließend beglücken die Franzosen mit La Fayette und anderen Märschen. Dann intonieren alle zusammen das Lied Berliner Luft.

Da will nicht so recht die Wut auf alles Militaristische aufkommen, so leicht und fröhlich spielen sie daher, die Militärbuben. Nur die zum Verzehr angebotenen Blut- und Leberwürste erinnern warm daran, daß Militärmusik Soldaten auf den Kontakt mit dem Feind vorbereiten soll. Verschiedene politische Gruppen nutzen die gebündelte Medienpräsenz: Ein Flugblatt wirbt für eine »Ehrenwache durch Soldaten der Bundeswehr am Ehrenmal ‘Unter den Linden‚«, fünf tibetanisch verkleidete Deutsche verlangen »Freiheit für Tibet« und einige Kroaten halten für ihr Land eine Mahnwache ab (»Kroatien, du darfst nicht weinen«).

Die Touristen schlendern gelassen am Brandenburger Tor herum, kaufen NVA-Mützen und Pommes, hören den Militärkapellen zu und fühlen sich wohl in einer Stadt, in der auch dieser Unsinn Platz hat. Werner