„Die Ungarn werden wie Geiseln behandelt“

■ Budapest ist besorgt über die Situation der Ungarn in Jugoslawien, aber auch in Rumänien und der Slowakei

Lange übte sich das offizielle Budapest mit Zurückhaltung. Schon beim Sechs-Tage-Krieg in Slowenien Ende Juni überflogen jugoslawische Kampfbomber den ungarischen Luftraum, ähnliche Verletzungen sind nun im Krieg gegen Kroatien an der Tagesordnung. Doch erst am Montag vergangener Woche holte Ministerpräsident Jozsef Antall in einer Grundsatzrede anläßlich des Jahrestages des Ungarn-Aufstandes von 1956 zum Rundumschlag aus:

Ähnlich wie 1956 lasse auch in diesen Tagen die westeuropäische Staatengemeinschaft Ungarn im Stich. Westeuropa zeige nicht genügend Engagement, die Krise in der Balkanregion zu schlichten.

Budapest sei nicht nur bestürzt darüber, wie von serbischer Seite und der jugoslawischen Bundesarmee der ungarische Luftraum verletzt werde, sondern daß man die fast 500.000 Menschen zählende ungarische Volksgruppe in der zur serbischen Republik gehörenden Vojvodina wie „Geiseln behandelt“. Europa nehme nicht zur Kenntnis, daß etwa 20 Prozent der bisherigen Kriegstoten Ungarn seien, ganze Dörfer mit großem ungarischen Bevölkerungsanteil im Städtedreieck Osijek, Vinkovci und Vukovar dem Erdboden gleichgemacht würden. Bereits 35.000 Jugoslawen halten sich dem Budapester Einwanderungsministerium zufolge offiziell in Ungarn auf, bis auf die dreifache Zahl wird die Zahl der nicht registrierten „jugoslawischen Touristen“ geschätzt.

Doch nicht nur mit Jugoslawien hat man in Budapest seine Probleme. Außenminister Geza Jeszensky äußerte sich dieser Tage auch kritisch zu den Entwicklungen in Rumänien und der Slowakei, wo ebenfalls starke magyarische Minderheiten leben. So verweigere Bukarest noch immer die Eröffnung von ungarischen Kulturinstituten, die Verbreitung ungarischer Medien und die Eröffnung eines Konsulates in Klausenburg (Cluj). Rumänien halte sich dabei nicht an die KSZE-Vereinbarungen, in denen solche bilateralen Verpflichtungen festgeschrieben sind. Ähnlich verhalte es sich auch mit der Slowakei, in dessen Parlament in Bratislava extremistische Gruppen immer größeren Einfluß gewännen. Beim Traum vom eigenen slowakischen Nationalstaat werde vergessen, daß über 20 Prozent der Einwohner Ungarn seien, deren Minderheitenrechte immer mehr besschnitten werden.

Antall wie Jeszensky machen kein Hehl daraus, daß sie die innere Sicherheit Ungarns durch die Nachbarstaaten mehr und mehr gefährdet sehen und ihnen als sicherste Lösung eine Ausweitung des Zuständigkeitsbereichs der Nato auf die gesamte Region vorschwebt. Nach Jeszensky gibt es zu solchen Vorschlägen „ermutigende Reaktionen“ auch aus Moskau. Es sei selbstverständlich, daß man nur unter Mitwirkung der Sowjetunion einen dauerhaften Frieden in Südosteuropa verwirklichen könne. Roland Hofwiler