Schwarze Kiwis plattgerammt

Rugby-WM in Dublin: Titelverteidiger Neuseeland ausgerechnet von verhaßten Aussies bezwungen  ■ Von Bernd Müllender

Dublin/Aachen (taz) — Nachtruhe gab es in Neuseeland nicht. Die (Sport-)Nation hockte nahezu geschlossen vor der Glotze, Sonntagnacht um halb vier, als im fernen Dublin das Halbfinale der Rugby-Weltmeisterschaft angetreten wurde. Gestern dann waren weite Teile der Kiwi-Gesellschaft apathisch oder sturzbetrunken. Schwermut, Trauer, Melancholie allüberall — denn das Unfaßbare war geschehen: Neuseelands „All Blacks“ haben verloren. Die vermeintlich Unbezwingbaren, die Titelverteidiger, die Vergötterten, die rauhen Lieblinge aller.

Australien schlug Neuseeland im Halbfinale, das für alle das vorweggenommene Endspiel war, mit 16:6. Ausgerechnet diese Aussies. Und dann noch so unverschämt deutlich. Welch ein Drama. Welche Schande. Nur gut, daß Montag in Neuseeland Feiertag war — ein depressionsbedingter Arbeitsausfall Hunderttausender hätte das ökonomisch darnieder liegende Land noch mehr gebeutelt. Und die Politiker der Labour Party wußten: Als sie vor Jahresfrist das Ruder noch nicht den Konservativen hatten abgeben müssen, da waren die All Blacks drei Jahre ungeschlagen geblieben.

Auch sportlich war der Wochentag von vermutlich entscheidender Bedeutung. Sonntags kann Rugby- Kiwi Michael Jones, einer der Superstars, nämlich nicht mittun. Der gebürtige West-Samoaner ist ein besonders wuchtiger Geselle und wird in Expertenkreisen als „bester Flanker aller Zeiten“ hochgelobt. Nur zieht er alle Kraft und Spielkunst aus dem Religiösen und mußte wochentagsbedingt dem Jehova zeugen, was Rugby unmöglich machte. Oder hatte der Haka nicht gewirkt? Der Haka ist der mystische Kriegstanz der Maoris, den Neuseelands Rugbyspieler, fast zur Hälfte mit Maoriblut in den Adern, heute vor jedem Match zelebrieren. Auch in Dublin: Vorsänger (besser: Vorbrüller) Steve McDowall plazierte sich am Mittelkreis, im Halbkreis die Seinen um ihn herum, und begann den martialischen Tanz zur Einschüchterung des Gegners. Von wilden rhythmischen Schreien begleitet, trommelten sich dabei die All Blacks auf ihren riesigen Oberarmen herum, mit denen sie bald darauf ihre Gegner aus Oz auszuhebeln gedachten. Diese sahen sich das ehrfürchtig an, bis auf zwei, die liefen ängstlich weg vom alternativen Begrüßungszeremoniell.

Und dann legten die Känguruhs (Teamkosename: Wallabys) los wie die pazifischen Eroberungstruppen ihrer Majestät, gegen die die Maoris vor rund 200 Jahren trotz aller Hakas auch keine Chance hatten. Nervös waren die Kiwis, kamen vor lauter Ballverlusten aus ihrer Abwehr nicht heraus, machten taktisch falsche Einwürfe und Fehler (zu offensichtliche Fouls, etwa Halswürgegriffe) wie nie zuvor. Ihre gefürchtete Spezialtaktik „rolling wall“, Raumgewinn durch Dauergedränge, setzten die Aussies ihre Zweizentnerkerls entgegen, allen voran Troy Coker, ein Koloß von 118 Kilo. Alle Kiwi- Attacken wurden brillant plattgerammt und Grant Fox, den sie daheim „Mr. Super Boot“ nennen, weil sein Schuh stets jeden Strafstoß über die Stange donnert, kam nicht zum Schuß. Und dann tanzte und hüpfte das Sprinterkänguruh David Campese pfeilschnell durch die Reihen der Schwarzen, wuchtete das Ei einmal selbst hinter die Mallinie und spielte ein andermal mit genialem Schulterrückwurf ein Mitwallaby frei. 13:0 zur Halbzeit.

Der Rest war Abwehrschlacht. Einem Aussie klatschte das Knie um, zwei andere bluteten, vom Arzt auf dem Platz behandelt, während das Spiel weitertobte. Alles regelgerecht, wegen solcher Schrammen wird doch ein Rugby-Match nicht unterbrochen. Bei 16:6 humpeln die Australier jubelnd vom Platz. Noch einer blutet. „Ketchup-Rugby“ — da sind die wilden Aussies ganz groß. Das Finale Australien gegen England ist am Samstag 15 Uhr in Twickenham — live im Sport Channel. Da hätte Michael Jones betpausenbedingt wieder mitflanken und -rammen können. So werden die Aussies auch noch den Titel holen und Neuseeland ein zweites mal in tiefe Trauer stürzen.