Nach der Euphorie

■ In Polen wurde erstmals demokratisch gewählt doch mit wackligem Ergebnis

Nach der Euphorie In Polen wurde erstmals demokratisch gewählt — doch mit wackligem Ergebnis

Ein Fest für die Demokratie“ nannte Premier Bielecki die ersten freien Wahlen Polens seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Doch seine Wortwahl geht erschreckend an der Realität vorbei. Ja — in Polen wurde gewählt, doch die Wahlen, durchgeführt zwei Jahre nach dem demokratischen Umbruch des Jahres 1989, kamen zwei Jahre zu spät. Zwei Jahre, in denen Ex-Premier Mazowiecki als „Mann der Gesetze“ den in einem Unrechtsstaat groß gewordenen Polen einen demokratischen Grundsatz lehren wollte: Die Vereinbarungen des Runden Tisches sind einzuhalten.

Mit dieser Haltung aber hat Mazowiecki der Demokratie Polens mehr geschadet als genutzt. Zwei Jahre nach dem Umbruch hat sich die einst allmächtige Solidarnosc in zahlreiche Gruppen und Grüppchen aufgespalten. Die Einheit von einst ist dahin. Im Parlament beginnt nun der Kampf jeder gegen jeden, auch die nun bestehenden Parteien sind in sich keineswegs „konsistent“.

Sicher, diese Spaltung wäre auch durch Wahlen vor zwei Jahren nicht zu verhindern gewesen. Doch — und dies zeigt auch das Beispiel der Tschechoslowakei, in der sich der inzwischen in vier Gruppen gespaltene Wahlsieger „Bürgerforum“ weiterhin dem Wählerauftrag verpflichtet fühlt — trotz der Differenzierung hätte sich die in Regierungsämter gelangte Opposition durch die Euphorie des Umbruchs über die ersten Schwierigkeiten hinwegtragen lassen.

Nun jedoch betritt eine Vielzahl politischer Anfänger in einer Situation gesellschaftlicher Konfrontation das glatte und unbekannte Parkett der parlamentarischen Demokratie. Und: Die Euphorie des Umbruchs hätte bewirkt, daß eine Mehrheit der Polen durch ihren Gang zur Urne dem Parlament eine demokratische Legitimität verschafft hätte. Um diese wird es — angesichts einer Wahlbeteiligung von 40 Prozent — nun ständig kämpfen müssen. Der Erfolg der ehemaligen Kommunisten ist dagegen wohl nicht vom Wahldatum abhängig. Auch die Wahlen in anderen postkommunistischen Ländern haben gezeigt, daß die Vertreter der immer noch existierenden „alten Strukturen“ mit zehn Prozent und mehr rechnen können.

Zu spät kamen die Wahlen aber auch für die Formulierung des Wahlgesetzes. Sosehr in Ländern mit stabilen Parteiensystemen ein ausdifferenziertes Verhältniswahlrecht neue und kleine Parteien begünstigen muß, sosehr wäre für Polen ein Wahlsystem nötig gewesen, das stärkere Parteien favorisiert. Dies jedoch verhinderte nicht nur das Eigeninteresse der um ihre Vertretung im Parlament fürchtenden Blockparteien. Dies verhinderte auch das Eigeninteresse der Solidarnosc-Nachfolger. Nach dem Bruch zwischen Walesa und Mazowiecki waren vernünftige Kompromisse nicht mehr möglich. Die Folge: Im polnischen Sejm wird mit 4,5 Prozent und 30 Abgeordneten nun auch die „Partei der Biertrinker“ vertreten sein. Nicht schwer fällt da die Prognose, daß die Regierungsbildung schwierig werden wird.

Und so könnte der aus der Diskussion um das Wahlgesetz als Verlierer hervorgegangene Walesa sich bald als der eigentliche Sieger erweisen. Ist die Regierung schwach, mangelt es dem Parlament an Legitimität, dann schlägt die Stunde des Staatspräsidenten. Sabine Herre