: Tausende wollen Dubrovnik verlassen
■ Angehörige ethnischer Minderheiten werden möglicherweise gezielt in vorderster Front eingesetzt
Budapest (taz) — Für wehrtaugliche Männer wird kein Pardon gegeben: Alle männlichen Einwohner von Dubrovnik werden zu den Waffen gerufen und müssen sich unter das Kommando der kroatischen Nationalgarden stellen. So der Befehl, der gestern vom kroatischen Propagandasender „Studio Dubrovnik“ regelmäßig verlesen wurde. „Desertation zu der jugoslawischen Bundesarmee“ und „unerlaubtes Entfernen von den Verteidigungseinheiten“ würden mit allen Mitteln der Kriegsgerichtbarkeit geahndet, so der kroatische Sender. Für besonders schwere Fälle ist selbst die Todesstrafe nicht ausgeschlossen.
In der süddalmatischen Hafenstadt herrscht Hochspannung, seit das Ultimatum der jugoslawischen Armee zur Übergabe der Stadt verstrichen ist. Die Militärs hatten die kroatischen Verbände, die Dubrovnik verteidigen, umsonst aufgefordert, bis Sonntag abend acht Uhr die Waffen abzuliefern und die Stadt zu verlassen. Der Chefunterhändler der Armee, Oberstleutnant Radoslav Scicevir, hatte allerdings am Sonntag versichert, die Armee werde auch im Fall einer Weigerung, dem Ultimatum nachzukommen, den Kampf nicht wieder aufnehmen. Doch gehe, so drohte er, der „Todeskampf“ der seit 27 Tagen eingeschlossenen Stadt dann weiter. Nach Angaben der Behörden Dubrovniks, die sämtlichen männlichen Einwohnern zwischen 18 und 60 Jahren verboten haben, die Stadt zu verlassen, sind die etwa 70.000 belagerten Einwohner, die seit einem Monat von Strom und Trinkwasserzufuhr abgeschnitten sind, nun vom Hunger bedroht. Am Sonntag besetzte die Armee die Vororte Kosice und Jarkoviri und befand sich noch einen Kilometer von der historischen Stadtmauer von Dubrovnik entfernt. Nach Angaben des Bürgermeisters der Stadt sind in den letzten Tagen entgegen den Behauptungen der Militärs mehrere Granaten im historischen Stadtkern eingeschlagen. Die Prachtstraße Stradun und das Museum Rupe seien beschädigt worden.
Bis zum Sonntag haben sich bereits 6.000 Personen — Frauen, Kinder, Alte und verwundete Männer, die vorwiegend aus dem Umland nach Dubrovnik geflohen sind — beim Roten Kreuz für eine Evakuierung registrieren lassen. Noch am Sonntag abend lief eine Fähre mit 1.200 Flüchtlingen aus der belagerten Stadt in den Hafen der Adriainsel Korcula ein. Gleichzeitig formierten sich in Zagreb von den Behörden organisierte Züge „rückkehrwilliger Kroaten“, die die Seeblockade um Dubovnik durchbrechen wollen, um heimzukehren. Angesichts der militärischen Lage offenbar eine eher symbolische Aktion.
Inzwischen behaupten immer mehr Repräsentanten der nationalen Minderheiten Jugoslawiens, daß die Armee vornehmlich Angehörige ethnischer Minoritäten an die vordersten Frontlinien schicke. Selbst die serbisch dominierte Tageszeitung 'Borba‘ (Der Kampf), in der auch den Generälen der jugoslawischen Bundesarmee viel Gehör geschenkt wird, gab vor einigen Tagen zu, daß die Armee in der ostslawonischen Stadt Beli Monastir schon vor Wochen gezielt im Roma-Ghetto wehrtaugliche Roma für die Schlacht um Vukovar rekrutieren ließ, während an die serbische Bevölkerung nur vereinzelt Stellungsbefehle erfolgten. Ähnliche Aktionen sollen ebenso in den Orten Placir, Backa Topola und Stara Moravica durchgeführt worden sein. In diesen Orten habe man vor allem Angehörige der ungarischen Minderheit für Kämpfe in der vordersten Front rekrutiert. Delegierte der „Demokratischen Gemeinschaft der Ungarn in der Vojvodina“ (VMDK) erheben öffentlich den Vorwurf an die jugoslawische Generalität, Ungarn als „Kanonenfutter“ im Krieg gegen Kroatien einzusetzen. Gleiche Vorwürfe richtet der „Demokratische Bund“ der Kosovo-Albaner an Belgrad. Allein in Ostslawonien und um Dubrovnik seien möglicherweise über hundert albanische Rekruten in den ersten Frontlinien gefallen. Man habe in einzelnen Fällen auch Ahnungslose mit ungeladenen Waffen und leeren Munitionskisten in den Kampf geschickt.
Doch auch Kroatien und Slowenien scheuen möglicherweise nicht davor zurück, Angehörigen von Minderheitengruppen eine besondere Behandlung zukommen zu lassen. Rajko Djuric, Jugoslawiens Roma-Führer und Vorsitzender der Welt-Roma-Union behauptet jedenfalls, in Ljubljana und Zagreb stelle man die Roma-Bevölkerung vor die Wahl, entweder freiwillig die „neuen Staaten“ zu verlassen oder sich für die „Sondereinsatztruppen“ der jeweiligen Nationalgarde zur Verfügung zu stellen, um so seinen kroatischen beziehungsweise slowenischen Patriotismus zu bezeugen.
Selbst die Männer der kleinen, gerade noch 6.000 Mitglieder zählenden jüdischen Gemeinde Jugoslawiens, so meint ihr Vorsitzender David Albahari, würden von kroatischer wie serbischer Seite bevorzugt als „Kriegsfreiwillige“ rekrutiert. 1.600 Juden seien bereits auf dem Sprung, ihre jugoslawische Heimat zu verlassen. Roland Hofwiler/thos
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen