Neue Angriffswelle läßt Bonn kalt

■ Für das Auswärtige Amt sind Sanktionen gegen Nato-Partner Türkei „momentan nicht aktuell“/ Nur ein FDP-Mann fordert verstärkten Druck der Bundesregierung auf die Türkei

„Ich weiß nicht, was wir wissen. Ob nur Stellungen der PKK angegriffen werden oder ob auch Zivilbevölkerung betroffen ist...“ Unter anderem mit diesen Worten antwortet am Montag der Sprecher des Bonner Auswärtigen Amtes auf die Frage, ob und wie denn sein Ministerium mit den neuesten Angriffen des türkischen Militärs auf kurdische Dörfer umzugehen gedenkt. Bevor er sich dazu äußert, möchte der Sprecher erst mal in der zuständigen Abteilung nachfragen, ob es auch Sicht des Auswärtigen Amtes ist, was in allen Zeitungen steht: daß nämlich die türkische Armee einen erbarmungslosen Krieg gegen das kurdische Volk führt.

Daß dies nicht der Sicht des Hauses Genscher entspricht, stellt sich schnell heraus. Die Nachfragen haben ergeben: Das Auswärtige Amt wisse sicher nur von Angriffen der türkischen Regierung auf Stellungen der PKK. Und natürlich gestehe man Ankara zu, „sich gegen diese Terroristen zur Wehr zu setzen“. Allerdings bestehe die Bundesregierung gegenüber der türkischen Regierung darauf, daß Zweifel darüber, ob bei den Angriffen nicht auch kurdische Zivilisten getroffen würden, „restlos aufgeklärt werden“.

Entsprechend ist auch die Auskunft über mögliche deutsche Sanktionen gegen die Türkei. Zum Beispiel die Bonner Militärhilfe für den Nato-Bündnispartner in Ankara: sie einzustellen, sie unter dem Eindruck der jüngsten Angriffe gegen Kurden wenigstens zu überprüfen, sei, so der Sprecher Genschers, „momentan kein Thema unserer Überlegungen“. Wann sie ein Thema würden, könne er nicht sagen. „Im Moment ist das nicht aktuell.“ Was denn noch geschehen müsse, daß sie Thema würden, wolle er nicht beantworten, denn „das ist doch eine ganz hypothetische Frage“.

Daß Ottfried Hennig, Staatssekretär im Verteidigungsministerium, in den letzten Wochen wiederholt gefordert hat, die deutsche Militärhilfe an Ankara zu überprüfen, scheint das Auswärtige Amt nicht anzuregen: Herr Staatssekretär Hennig habe nur seine eigene Meinung kundgetan. Diese entspreche nicht der der Bundesregierung. Eher der Form halber schließlich eine Stellungnahme zu Angriffen auf die kurdische Bevölkerung überhaupt: Die Türkei kenne die Einstellung der Bundesregierung zu „solchem Vorgehen“. Man habe es in der Vergangenheit wiederholt verurteilt. Auch jetzt sei man mit Ankara „dauernd im Gespräch“ darüber.

Ganz anders geht mit den jüngsten Geschehnissen in der Türkei ein Parteifreund des Außenministers um: Ulrich Irmer, außenpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, bekundete gegenüber der taz, er schließe sich der Meinung Ottfried Hennigs „voll an“, wonach die Bundesregierung ihre Militärhilfe an Ankara überprüfen müsse. Der Freidemokrat geht sogar noch weiter: „Man muß jetzt sofort alle möglichen Zeichen setzen und Druck machen.“

Ansonsten läßt die neue Angriffswelle auf Kurden in türkisch-kurdischem Gebiet Bonn gleichgültig. Weder die Bundesregierung noch die Außenpolitiker der Unionsfraktionen ließen gestern etwas dazu vernehmen. Auf den Appell des Parlamentarischen Staatssekretärs Ottfried Henning vom Samstag an Ankara reagierte bis gestern jedenfalls niemand. Außer dem FDP-Politiker Irmer war lediglich von den Grünen etwas zu hören. Angelika Beer, Mitglied im Bundesvorstand der Partei, verlangte unter anderem von der Bundesregierung, jegliche Militär- und Ausrüstungshilfe sofort zu stoppen. Ferdos Forudastan, Bonn