Voltairedämmerung a la Brandenburg

■ Vom vergeblichen Versuch, nach Friedrich nun auch Voltaire in Potsdam zu begraben

Es mußte ja so kommen: Kaum hatte man Friedrich endlich als Philosoph (bei seinen Hunden, gemäß seines letzten Willens) in Sanssouci begraben, erinnert man sich auch seines Freundes Voltaire. Voltaire wurde 1753 ziemlich unfair aus dem »Sparta des Nordens« vertrieben, als er es wagte, eine Satire gegen den Akedemiepräsidenten Algarotti zu schreiben. Nun, wo Potsdam gerne eine »Kulturstadt Europas« werden möchte, muß Voltaire wieder aus der Kiste geholt werden. Aufklärung in Potsdam? Aber sicher doch. Toleranz? Bereits seit dem »Edikt von Potsdam«, das den verfolgten Hugenotten aus Frankreich Asylrechte einräumte. Statt Container und Zeltstädte wurden ihnen gleich richtige Häuser gebaut, alles vom gütigen »Alten Fritz«.

Die Legende vom »Philosophenkönig« Friedrich braucht aber auch den dazugehörigen Philosophen. Und so fördern Bund und Land mit sage und schreibe 1,5 Millionen Mark die »größte Voltaire-Ausstellung der Welt«. Kein Material war teuer genug, um den Potsdamern zu lehren, was Aufklärung wirklich heißt: 800 (!)Kerzenleuchter in allen Räumen des prachtvollen »Alten Rathauses« in Potsdam. Künstler von Dali, Ernie und Corinth bis zur Rauminstallation von Markus Lüppertz — nichts fehlt. Dazu Bilder aus der St. Petersburger Ermitage und ein in einer Kutsche sitzender Voltaire neben einem (was sonst?) flötenspielenden Friedrich. Eine Welt des Kitsches und des Scheins. Schwüle Boudoirs, mit glänzendem Brokatstoff dekoriert, dazwischen Kupferstiche und Manuskripte, so das Originalmanuskript von Voltaires legendärer erotischer Erzählung Aristide, die durch den Anblick des schwulen Friedrich inspiriert ist.

Als ob all das dem Ausstellungsmacher Alexander Dill noch nicht genug des Guten wäre, hat er auch noch ein Caféhaus in die Ausstellung eingebaut. Als wir da waren, gab es aufgewärmte Croissants und Café au lait sowie vielerlei Baguettes. Vom Café aus blickt man auf Manfred Forstreuter, der durch seinen Aufenthalt in einem Gefängnis aus Mauerelementen nach publicity strebt.

Emsig rennt Alexander Dill durch die ganze Ausstellung. Als er hört, daß wir etwas für die taz schreiben wollen, werden wir ihn nicht mehr los. Ein Orkan wütet über uns, wir hören nur noch »Aufklärung« und »Potsdam«, bevor er uns durch weitere »Erlebnisräume (Prospekttext) schleift. Ganz nebenbei erfahren wir, daß an dem ganzen Barry- Lyndon-Spektakel nur zwei Künstlerinnen mitgewirkt haben, deren Bilder verschämt in einer Ecke hängen: Elke Spuler-Bullert und Siegrid Noack. Wie müssen sie sich in dieser völligen Deplazierung fühlen. Egal, wir müssen weiter, denn Alexander Dill hat nun den Videoapparat angestellt, auf dem eine Performance von Hanna Frenzel gezeigt wird: Voltaire und das Meer.

Aber was, was der Herrgott hat all das mit Voltaire zu tun? Im Katalog, so Dill, konnte er nur die historischen Exponate aufnehmen. Auch hat er ein durchaus passables Sachbuch zum Thema vorgelegt (Voltaire in Potsdam — mehr als nur eine Episode, FAB-Verlag). Warum also diese völlige Verirrung? Fast ein bißchen traurig erzählt er uns auf Nachfrage von Achim Heß, dem Designer. Der hat das »Esprit« am Ku,damm designt und zeichnet nun — so steht's im Katalog — für das Design verantwortlich.

Schüchtern, fast ängstlich schleichen die Potsdamer durch die wahrhaft königliche Prachtentfaltung. Wir müssen an die Ägyptenausstellung denken, als Dill uns in die sechs Meter hohe Pyramide von Bernd Watzke führt, in der — wir ahnten es fast — das Grab Voltaires installiert war. Dazu hört der nekrophile Besucher Mozarts Requiem. Hier nun war es uns endgültig genug, und wir ließen einen wehmütig guckenden Dill zurück, der uns noch nachrief: »Bitte schreibt, daß dieses Objekt von der Lufthansa gesponsort wurde!« — was wir hiermit tun. Nathalie Gleich