Vernachlässigte Musik damals und heute

■ Komponistinnen aus drei Jahrhunderten — gespielt vom »Duo Allegretta«

Zu hören sind sie so gut wie nie, ihre Namen vielen ein Rätsel, und von ihrem Schaffen wissen nur wenige. Komposition, das war und ist in der offiziellen Musikgeschichtsschreibung eine Domäne der Männer. Komponistinnen blieben verkannt, denn ein nie näher überprüftes Dogma der Musikgeschichte lautete stets: »Frauen können nicht komponieren.«

Daß dem nicht so ist, davon konnte man sich am Sonntag abend im Frauenkulturzentrum »Begine« überzeugen. In ihrem Konzert Die vergessene Musik präsentierte das Berliner »Duo Allegretta« Werke von zeitgenössischen Komponistinnen und solchen vergangener Jahrhunderte. Mit sonorer Altstimme spann Heike Hallmann, am Klavier begleitet von Petra Krömer, einen Bogen von der Romantik bis zur Moderne. Und auch die Klassik fand mit einem Klavierstück der früh erblindeten Komponistin Maria Theresia von Paradis (1759-1824) Eingang in das Programm.

Doch nicht nur die »vergessene Musik« fand im Konzert des Duos Allegretta Raum. Vervollständigt wurde der Musikvortrag durch kurze Moderationen Petra Krömers, mit denen sie einen Zusammenhang zwischen den Liedern und Klavierkompositionen und dem Leben und Werk der jeweiligen Komponistin herstellte. Hinweise auf die Gründe des »Vergessens« und auf die blinden Flecken der Musikgeschichte durften da natürlich nicht fehlen.

So bleibt bemerkenswert, daß das als Klaviersolo dargebotene Stück Sicilienne der blinden Komponistin von Paradis heute insgesamt fünf Schallplatteneinspielungen erfahren hat. Man könnte sagen, für eine Frau ist das schon der Zustand des Berühmtseins, denn so »viele« Aufnahmen sind für Komponistinnen kaum die Regel. Im Gegenteil fanden nur die wenigsten Kompositionen von Frauen je Eingang in die Werkausgaben der Verlage oder in die Rundfunkprogramme großer Sendehäuser. Vielfach wurden die Werke von Komponistinnen nie verlegt. Vom reichhaltigen kompositorischen Schaffen Alma Schindler-Mahlers (1879-1964) sind insgesamt nur 14 Lieder erhalten geblieben. Alles andere ging verloren — denn niemand fühlte sich bisher gemüßigt, sich um den Nachlaß von Komponistinnen zu kümmern.

Den Anfang des Programms machten am Sonntag abend Lieder der beiden »Romantikerinnen« Fanny Hensel (1805-1847) und Clara Schumann (1819-1896). Romantik, das impliziert gleich Musik, die ans Herz geht — ein wenig schwülstig, ein wenig pathetisch. Und selbst die Texte von Heinrich Heine und Franz Grillparzer änderten daran nichts, sondern unterstützen den Eindruck.

Die Namen beider Komponistinnen klingen vertraut — vor allem jedoch, da sie fast immer im Zusammenhang mit Bruder oder Ehemann fallen: Fanny Hensel als Schwester von Felix Mendelssohn-Bartholdy, Clara Schumann als Ehefrau Robert Schumanns. Beide wurden von männlicher Seite gebremst, sobald es um die Entwicklung eigener musikalischer Fähigkeiten ging. Die Musik sollte für Frauen eben nicht Beruf, sondern höchstens »Zierde« sein — so Abraham Mendelssohn, der Vater Fanny Hensels. Daß beide als Komponistinnen vor allem romantischer Lieder ein eigenes Werk schufen, blieb in der Musikgeschichte lange Jahre ohne Bedeutung.

Zwei kurze Lieder der Komponistin Germaine Tailleferre (1892-1983) dokumentierten im Anschluß an die »getragene und schmachtende« Romantik die weitere musikgeschichtliche Entwicklung. Als einzige Frau gehörte die französische Komponistin der 1920 gegründeten »groupe des six« an, die sich für die Verbreitung einer anti-romantischen Tonkunst einsetzte.

Lieder moderner Komponistinnen, wie der 1926 geborenen Ruth Zechlin, die noch heute in Ost-Berlin lebt und arbeitet, oder der Münchnerin Phillipine Schick (1893-1970), deren knappen, minimalistischen Kompositionen Texte von Christian Morgenstern zugrunde liegen, führten die Zuhörerinnen in die Gegenwart kompositorischen Schaffens ein.

Mit der Komposition Vers la vie nouvelle für Klavier von Nadia Boulanger (1887-1979) kam eine der größten französischen Musikpädagoginnen und Dirigentinnen unseres Jahrhunderts zu Ehren. 1938 dirigierte sie als erste Frau das Boston Symphony Orchestra. Ihre jahrzehntelange Lehrtätigkeit für Komposition in Paris brachte ihr internationale Anerkennung ein. Viele namhafte KomponistInnen aus aller Welt gehörten zu den Schülerinnen Nadia Boulangers, so beispielsweise auch George Gershwin. Ihr eigenes kompositorisches Werk schätzte sie eher gering ein. Zu Unrecht, wie Petra Krömer am Flügel bewies.

Die jüngste Komponistin im Rahmen des Programms, die 1936 geborene Barbara Heller, gehört zu denen, die sich in den letzten Jahren verstärkt darum bemühen, die Werke unbekannter und vergessener Musikerinnen durch Aufführungen und Publikationen zu fördern und zu würdigen. Sie beweist, daß E-Musik nicht nur ernst und getragen sein muß. So verführte ihre Klavierkomposition Reißverschluß, bei der die Hände der Pianistin wie im Reißverschlußverfahren aufeinanderzulaufen, schnell zum Lachen. Denn letzlich umfaßt die Komposition nur ein kurzes Klavierstück, das je nach Laune der Pianistin in steigernder Schnelligkeit und abnehmender Lautstärke so oft wiederholt werden kann, wie es beliebt. Barbara Heller selbst wird im November (27.11.) mit einem eigenen Konzert im Frauenkulturzentrum Begine zu Gast sein.

»Die vergessene Musik« wurde am vergangenen Sonntag leider nur im kleinen Rahmen aus ihrem Vergessen geholt. Das Konzertprogramm des Duos Allegretta mit ihren Kommentaren, Anmerkungen und Anekdoten verdiente auch in größeren Konzertsälen und Veranstaltungsräumen Beachtung.

Neugierige, die mehr Musik von zeitgenössischen Komponistinnen oder solchen vergangener Jahrhunderte erleben und hören möchten, sei das Konzertprogramm der Begine in diesem Herbst empfohlen. Karin Flothmann

Der nächste Termin: 31. 10., um 20 Uhr. Unterwegs zu den Hexenklängen — Piano-Improvisationen von und mit der Musikerin und Komponistin Inge Latz im Begine, Potsdamer Straße 139