Keine Mietminderung wegen Asbest

■ Wegen möglicher Asbestfreisetzung dürfen Friedrichshainer Mieter nicht mehr renovieren

Friedrichshain.In Renate Heymers »Naßzelle« lösen sich hinter der Badewanne die Kacheln von der feuchten Wand. Die Tapete neben dem Spiegel blättert langsam ab, die Toilette steht nicht mehr fest auf ihrem Platz, und der Boden wird auch immer brüchiger. Renovieren darf sie allerdings nach einer Weisung der Wohnungsbaugenossenschaft Friedrichshain nicht. Nicht einmal die Bohrmaschine solle sie betätigen, hieß es in einem Schreiben im Februar. Die Begründung: Renate Heymer wohnt in der Babeufstraße in einer von 522 Genossenschafts- Wohnungen, in denen zwischen Küche und Bad asbesthaltige Sokalit- Dämmwände eingebaut wurden.

Daß freigesetztes Asbest ab einer gewissen Konzentration krebserzeugend ist, wußte man auch in der DDR, sagt Heymer. Bereits 1987 habe ein Arzt an der Charité ihr nach einer Operation wegen chronisch entzündeter Schleimhäute geraten, die Wohnung zu wechseln. Eine Bescheinigung, daß ihr Gesundheitszustand möglicherweise auf die Bauweise der P2-Serie zurückzuführen sei, wollte ihr der Arzt allerdings nicht geben.

Seit Jahren liegen Renate Heymer und ihre Hausgemeinschaft mit der Wohnungsbaugenossenschaft, ehemals Arbeiterwohngenossenschaft (AWG) im Clinch. Alle Eingaben auf Mietminderung wegen der Asbestbelastung wurden bisher abgelehnt. Statt dessen zahlt Renate Heymer seit dem 1. Oktober 604 statt zuvor 126 Mark für ihre 78 Quadratmeter.

Die Mieter sind verärgert bis resigniert. »Vermutlich wird wieder überhaupt nichts passieren«, erregt sich die 31jährige Birgit S., Mutter von zwei Kindern. »Es gibt kein Konzept, kein Geld, wir wissen nicht, wo wir unterkommen sollen, und der Senat fühlt sich auch nicht zuständig.« Ihre Gesundheit sei ja nicht so wichtig, aber die kleinen Kinder... Seit Monaten drängt sie darauf, die Werte in ihrer eigenen Wohnung untersuchen zu lassen — bisher wurde nur in leeren Wohnungen gemessen. Birgit S. fühlt sich verschaukelt. »Erst machen sie die Leute mit Briefen verrückt, wir dürften nichts an unserer Wohnung machen, und wenn wir Eingaben schreiben, heißt es, alles sei nicht so schlimm, und demnächst würde ja was passieren.«

Die Verunsicherung der Bewohner ist offensichtlich. Drei Tage müßten sie ausziehen, wenn die Wohnungen saniert werden, heißt es. Andere sprechen von drei Monaten, und wohin, wissen sie auch nicht. Die ersten Gerüchte über Nächte im Zelt kursieren bereits. Konkrete Pläne der Genossenschaft liegen bisher ebensowenig vor wie geklärt ist, wer letztendlich die benötigten 15 bis 20 Millionen für die Sanierung aufbringt. Viele befürchten eine weitere Mieterhöhung. Andere glauben schon, die Genossenschaft könne an der Sanierung bankrott gehen, und beschweren sich deshalb nicht. Denn eine asbestbelastete Wohnung ist schließlich immer noch besser als gar keine.

Nun erzählt man sich, Bundesbauministerin Irmgard Adam- Schwaetzer sei unterwegs nach Berlin, um die Friedrichshainer P2-Serie persönlich in Augenschein zu nehmen. Auch wenn dies ein Gerücht bleibt — Renate Heymer und die Hausgemeinschaft wollen weiter kämpfen. In der kommenden Woche ist ein Besuch bei der Senatsbauverwaltung geplant. »Hoffentlich werden wir da zur Abwechslung mal durchgelassen«, sagt Renate Heymer. Jeannette Goddar