Die Stunde der Verweigerer

■ Am Vorabend der historischen Nahost-Friedenskonferenz in Madrid machten die Gesprächsverweigerer beider Seiten noch einmal mobil: Angehörige der radikalen "Volksfront für die Befreiung Palästinas" griffen...

Die Stunde der Verweigerer Am Vorabend der historischen Nahost-Friedenskonferenz in Madrid machten die Gesprächsverweigerer beider Seiten noch einmal mobil: Angehörige der radikalen „Volksfront für die Befreiung Palästinas“ griffen einen Bus mit israelischen Siedlern an und töteten zwei Insassen; bei einem Sprengstoffanschlag im Libanon kamen drei israelische Soldaten ums Leben; und in Tel Aviv demonstrierten 50.000 sogenannte Nationalisten gegen jeglichen territorialen Kompromiß. Israels Ministerpräsident Schamir bezichtigte noch am Dienstag die US-Regierung der Unterstützung für die PLO.

Kaum war der israelische Ministerpräsident Schamir — der einzige Regierungschef, der seine Delegation persönlich leitet — in Madrid gelandet, kündigte er auch schon seinen vorzeitigen Abflug an. Aus tiefer Verärgerung über die amerikanische Konferenzregie verläßt Schamir am Freitag morgen vor dem offiziellen Abschluß des historischen Treffens Madrid. Der Grund: Die gemeinsame jordanisch-palästinensische Delegation soll die doppelte Redezeit wie die anderen Gruppen erhalten — was aus israelischer Sicht der Anerkennung einer eigenen palästinensischen Delegation gleichkommt. Das Schlußstatement der Palästinenser am Freitag wird Schamir deshalb nicht mehr zur Kenntnis nehmen. Öffentlich bezichtigte Schamir die US-Regierung als Kollaborateure des Terrorismus, die „Elemente, die nicht am Frieden interessiert sind“, förderten.

Schamir bezog sich damit auf zwei blutige Anschläge, die arabische Gegner der Friedenskonferenz am Montag abend und Dienstag morgen verübten. Bei einem palästinensischen Angriff auf einen Reisebus, in dem jüdische Siedler aus dem Westjordanland zu einer Demonstration nach Tel Aviv unterwegs waren, wurden zwei Menschen getötet und fünf Kinder verletzt. Im Südlibanon starben am Dienstag mindestens zwei Soldaten bei einem Sprengstoffattentat. Die pro-iranische Hisbollah-Miliz, die sich zu dem Anschlag in Libanon bekannte, kündigte an, sie werde ihre Aktionen verschärfen. Zu dem Anschlag auf den Bus bekannte sich die Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP), die die Konferenz in Madrid entschieden ablehnt. Als Reaktion auf die beiden Attentate griffen israelische Hubschrauber ein palästinensisches Flüchtlingslager in Tyros im Südlibanon an — zurück blieben ein Toter und drei Verletzte.

Die Hisbollah kündigte unterdessen eine Intensivierung ihrer Aktionen an, um die Friedenskonferenz in Madrid zum Scheitern zu bringen. Hisbollah-Generalsekretär Scheich Abbas Mussawi erklärte in einem Vorort von Beirut vor Journalisten, Syrien unterstütze die Aktionen „gegen den israelischen Besatzer“ in der von Israel beanspruchten Sicherheitszone in Südlibanon.

Als der Anschlag auf den Bus stattfand, waren die Siedler unterwegs zu einer Demonstration gegen die Friedenskonferenz, die in Tel Aviv stattfand. Dort versammelten sich am Montag abend mehr als 50.000 Demonstranten unter dem Motto „Frieden gegen Frieden“ in Abgrenzung zu der Formel „Land gegen Frieden“. Wissenschaftsminister Juwal Neeman von der rechtsextremen Tehija-Partei rief dazu auf, für jeden getöteten Juden hundert neue Siedlungen zu gründen.

Die Nachricht von dem Anschlag und seinen Folgen rief bei den Demonstranten in Tel Aviv Empörung und Proteste hervor. Die Demonstration war vom Nationalen Lager am Vorabend der Abreise des Ministerpräsidenten und seiner Delegation nach Madrid organisiert worden, um israelische Konzessionen in den Verhandlungen mit den arabischen Nachbarn zu verhindern. „Frieden muß erzielt werden, aber ohne auf einen Zentimeter von Erez Israel zu verzichten, ohne unsere Sicherheit zu gefährden, ohne die Siedlungstätigkeit auch nur für einen Tag lang zu unterbrechen. Frieden muß erzielt werden, ohne daß dabei unsere Werte 100 Jahre Zionismus und 2.000 Jahre unserer Gebete zu Schaden kommen“, hieß es im Aufruf zu der Demonstration.

Zu dem Anschlag am Westufer sagte der Vorsitzende der Arbeiterpartei, Schimon Peres, daß „verrückte Extremisten versuchen, den Friedensprozeß zu torpedieren, noch bevor dieser Prozeß überhaupt angefangen hat. Die Eskalation durch Verwendung von Schußwaffen muß verhindert werden.“ Israels Ministerpräsident Schamir erklärte vor seinem Abflug: „Wir sind schockiert über diesen mörderischen Anschlag und werden uns trotz der Friedenskonferenz nicht daran hindern lassen, Angriffe gegen terroristische Mörder vorzunehmen.“

Die Sprecherin der palästinensischen Delegation bei der Madrider Nahost-Friedenskonferenz hat den Anschlag auf israelische Siedler im Westjordanland am Montag abend als „bedauerlich“ bezeichnet. Der Zwischenfall unterstreiche die Dringlichkeit einer Friedenslösung, sagte Hanan Aschrawi gegenüber der Presse in der spanischen Hauptstadt. „Wir sind hier, um Frieden zu schaffen“, und es sei sehr bedauerlich, daß die Ankunft der palästinensischen Delegation von einem „Gewaltakt“ überschattet worden sei, fügte sie hinzu. In Ostjerusalem sagte Dr. Riad Malki von der Universität Birzeit und Aktivist der Palästinensischen Volksfront in den besetzten Gebieten: „Anschläge dieser Art hat es gegeben und wird es geben, solange die Besetzung andauert. Sobald die Besetzung aufhört, wird auch die Intifada zu Ende sein.“

In den von Israel besetzten Gebieten gaben gestern die Hamas-Bewegung, die Volksfront und die Demokratische Front zur Befreiung Palästinas ein gemeinsames Flugblatt heraus, in der sie ihre Opposition zur Madrider Konferenz erneut zum Ausdruck bringen. „Nein zu den Bedingungen des Feindes, Ja zum Kampf, Ja zur Unabhängigkeit und Ja zum arabischen Palästina, zum arabischen Jerusalem“, heißt es in dem Flugblatt der drei Organisationen. „Unsere Feinde wollen unsere Ziele und Programme zunichte machen, unser Volk in die Diaspora verstreuen oder es beherrschen, um das, was von Palästina noch übrig bleibt, zu judaisieren. Das palästinensische Volk muß den imperialistischen Plan der Amerikaner, die die Araber wirtschaftlich, politisch und moralisch knechten wollen, bekämpfen. Die Liquidationskonferenz in Madrid muß um jeden Preis bekämpft werden, damit die amerikanisch-israelische Lösung nicht zum Zug kommt.“

Ein ähnlicher Kampf wird seitens der Palästinenser im Libanon und in Jordanien geführt. Am 30. und 31. Oktober soll ein Generalstreik stattfinden. Während des Streiks soll auch der Verkehr eingestellt werden, und die Schüler müssen dem Unterricht fernbleiben. Für die Dauer der Konferenz in Madrid sollen überall schwarze Fahnen gehißt werden. Nationalen, islamischen und Volksorganisationen wird auferlegt, die Intifada zu eskalieren. „Einflußreiche Führer der PLO sollten den Weg der Konzessionen aufgeben und sich der besten Mittel im Kampf um unsere Rechte bedienen: aller Kampfmethoden und in erster Linien des ,bewaffneten Kampfes‘“, heißt es in dem gemeinsamen Flugblatt. Amos Wollin/dpa/afp