1991: Rekordjahr im Mercedes-Werk

■ Zwei Milliarden Investition für neue Typen und neue Technologien / Mehr Beschäftigte aus Niedersachsen

Im Mercedes-Werk in Bremen wird dieses Jahr rund 194.000mal der Motor angeworfen. Damit werden so viele Autos wie noch nie in Bremen vom Band laufen. Das berichteten die Direktoren des Bremer Mercedes-Werks, Dietrich Zeyfarth und Wofgang Schreck am Dienstag abend vor der Presse. Die beiden Schwaben stehen seit Gründung des Werkes vor 14 Jahre an der Spitze der Bremer Unternehmenstochter.

Damals waren die Ziele noch erheblich niedriger gesteckt. Aus den 4.500 Mitarbeitern der ersten Stunde sollten 8.000 werden, inzwischen sind es mehr als doppelt so viele. 16.131 Arbeiter und Angestellte stehen zur Zeit bei Mercedes in Lohn und Brot und können die anfallenden Aufträge in der regulären Arbeitszeit nicht erfüllen. Deshalb werden, Arbeitszeitverkürzung hin oder her, Sonderschichten geschoben. Jede zweite Woche ist in der Spätschicht eine neunte Stunde fällig und die Tagestakte sind angehoben worden. So sollen 6.000 Autos mehr produziert werden, als ursprünglich für 1991 vorgesehen. Gesamtergebnis: Noch in diesem Jahr wird der 1,4millionste Mercedes aus Bremer Produktion in die Welt geschickt. Denn sechs von zehn Autos gehen in den Export, der überwiegende Teil auf dem Seeweg über Bremerhaven.

Der rasante Expanisonskurs des Bremer Werkes ist damit erst einmal abgeschlossen. Zwar will Mercedes noch einige kleinere Flächen am Rande des Werkes erstehen, da für die Produktionsfläche je PKW angesichts steigender Qualitäts- und Umweltanforderungen mehr Fläche benötigt wird, doch eine Ausweitung der Produktion wird nicht mehr angestrebt. Dennoch wird bei Mercedes in den kommenden fünf Jahren kräftig investiert. 2,2 Milliarden Mark sollen in die Entwicklung des Nach

hier bitte den

alten Mercedes

Ein Mercedes in, aber nicht aus Bremen...

folgemodells für den 190er und in neue Technologien gesteckt werden.

Die rasante Entwicklung ist nach Ansicht der Chefetage auch deshalb möglich gewesen, weil es auf dem krisengeschüttelten Bremer Arbeitsmarkt genügend qualifizierte Arbeiter gab. Inzwischen gibt der Markt nach Ansicht Schrecks „nicht mehr so viele Arbeitskräfte her.“ Die Folge: Der Anteil der Beschäftigten aus dem niedersächsischen Umland hat stark zugenommen, mit allen Folgen, die dies von der Verkehrsproblematik bis zum Steueraufkommen und dem Länderfinanzausgleich hat. Während 1986 noch eine deutliche Mehrheit der 12.183 Beschäftigten den Wohnsitz in Bremen hatten, kommen nun 8.406 Arbeitnehmer aus dem Umland und nur 7.725 aus Bremen.

In den Werkshallen haben nach jahrelangem Bemühen neue Formen der Arbeitsorganisation Einzug gehalten. 86 Prozent der Beschäftigten arbeiten inzwischen in Gruppen. Statt monotoner Bandarbeit kann in der Gruppe an Standarbeitsplätzen gearbeitet werden. Die Aufgabenbereiche rotieren, die Monotonie der Arbeit soll abgebaut werden. Für die Kontrolle der Arbeit sind die Gruppen teilweise selbst verantwortlich. Ein nicht ganz uneigennützig eingeführtes System, wie die Werksleitung zugibt. Die Direktion erhofft sich höhere Motivation, einen niedrigeren Krankenstand und weniger Fehler in der Produktion.

Nach einer vom Unternehmen erarbeiteten Untersuchung der wirtschaftlichen Bedeutung der Mercedes-Ansiedlung wurden vom Bremer Werk 1990 in der Region Waren und Dienstleistungen im Wert von 521 Millinen Mark eingekauft, immerhin 429 Millionen davon in Bremen. Schreck bezifferte die Zahl der Unternehmen, die von Daimler profitieren auf etwa 1.000. Die durch die Kaufkraft (Lohnsummme 1990: 900 Millionen Mark) der Mercedes-Beschäftigten erzeugte Nachfrage hinzugerechnet, kommen nach der Studie auf drei Arbeitsplätze bei Mercedes noch einmal zwei in der Region.

Vor dem Verkehrsinfarkt und einer möglicherweise autoärmeren Zukunft hat Mercedes wenig Sorgen. Das könne eher ein Massenprodukt wie VW treffen, meint die Chefetage, bei den Komfortwagen in der gehobenen Klasse sei damit nicht zu rechnen. Und Mercedes kann da auch auf einen stabilen Nachfragefaktor setzen: Jedes Dritte für das Inland produzierte Auto geht an — Mercedes-Beschäftigte. hbk