Kinder husten in der Hauptstadt aus dem letzten Loch

■ Winterzeit ist Erkältunszeit: Die Ursachen für Atemwegserkrankungen bei Kindern liegen in der Luft, die jetzt in besonderer Weise mit Abgasen aus Schornsteinen und Kraftfahrzeugen angereichert ist — Viren, aber auch Schwebstäube und Zigarettenqualm machen den Steppkes das Atmen zur Qual

Berlin. Eine Mutter wühlt sich schwerbepackt mit Einkaufstüten durch das Menschenknäuel auf dem Herrmannplatz. Im Schlepptau dackelt ein etwa dreijähriger Steppke hinterdrein und hält sich die Hand vor den Mund. Plötzlich krümmt sich sein kleiner Körper zusammen, die Tränen schießen ihm in die Augen. Ein ausgewachsener Hustenanfall hat ihn erwischt. Die Mutter bleibt stehen und tröstet den Kleinen, bis die Attacke vorbei ist und er sich wieder beruhigt hat.

Unabhängig davon, wie schlecht es um die Gesundheit dieses Kindes steht, ist doch das Bellen eines hustenden Sprößlings auf Berlins Straßen nichts Besonderes. So gravierend wie Viren, dreckige Luft und falsche Ernährung den zarten Kindskörper attackieren können, so laut schallt es besonders im Winter posthum aus den jungen Lungen heraus. Längst sind Krankheiten wie Pseudo-Krupp, Asthma und andere chronische und akute Bronchialerkrankungen bei Kindern keine Ausnahme mehr, und Ärzte, die sich auf Lungenheilkunde für die Kleinsten spezialisieren, nehmen sich seit kurzem einer schon seit längerem klaffenden Behandlungslücke an.

Die Gründe, weshalb sich gerade in den Herbst- und Wintermonaten besonders viele Kinder die Seele aus dem Leib husten, sind mannigfaltig und nicht zuletzt in der atmosphärischen Umweltverschmutzung zu suchen. Vor allen anderen Krankheiten ist die akute Bronchitis bei Kindern die häufigste Ursache permanenter Husterei. Viren, die gerade zu herbstlichen Temperaturen zwischen vier und acht Grad am besten überleben, sind dafür verantwortlich.

Großeinrichtungen wie Kindertagesstätten bieten den Übeltätern zudem ein ideales Betätigungsfeld, in möglichst kurzer Zeit möglichst viele Kinder zu infizieren. Resultat ist, daß kaum ein Kind ohne Grippe oder Bronchitis durch den Winter geht. »In den ersten vier Lebensjahren ist es normal, daß Kinder sich einmal pro Monat einen Infekt zuziehen«, weiß der Berliner Kinderallergologe und Spezialist für Lungenheilkunde Michael Silbermann. Antikörper, wie sie jeden Erwachsenen vor Krankheiten schützen, müssen bei Kindern erst gebildet werden.

Daß Viren auch bei der chronischen Krankheit Pseudo-Krupp eine Rolle spielen, hält Silbermann für erwiesen. »Der Virus macht die Reizung der oberen Luftwege erst möglich«. Eine anschwellende Schleimhaut, verbunden mit akuter Atemnot sowie ein seehundartiger, bellender Husten sind die Symptome von Pseudo-Krupp. Vor allem die wachsenden Umweltbelastungen gelten als Ursachen für dieses Leiden. In einer Langzeituntersuchung verschiedener Wissenschaftler in Zusammenarbeit mit der Rittbergkinderklinik in Marienfelde wurde deshalb zwischen 1978 und 1982 unter anderem auch die Rolle von Schadstoffen in der Luft bei Atemwegserkrankungen untersucht.

»Wir fanden interessanterweise heraus, daß Pseudo-Krupp von Schadstoffen im allgemeinen relativ unbeleckt war«, sagt Silbermann, der selber an der Studie teilgenommen hat. Schwebstäube, wie zum Beispiel Ruß und Nikotin, dagegen spielen bei Pseudo-Krupp die Rolle des Katalysators, fanden die Wissenschaftler heraus.

Neben Pseudo-Krupp macht immer mehr Kindern der Asthma- Bronchiales zu schaffen. Überempfindlichkeit der Bronchialschleimhaut sowie allergische Reaktionen sind hier die Quelle quälender Erstickungsanfälle. Verantwortlich für Asthma ist vor allem der Dreck in der Luft und das sogenannte Indoor-climate [zu deutsch: die Zimmerluft, säzzer]. Tierhaare, Hausstaub, Milben, das Heizverhalten und vor allem Zigarettenqualm in den eigenen vier Wänden machen Kindern zu Hause das Atmen zur Hölle.

»Wichtig für eine vernünftige Diagnostik ist deshalb auch immer etwas über die Zustände zu Hause zu wissen«, erklärt der Allergologe und verweist auch auf die psychische Komponente bei Kinderkrankheiten. Zwar sind die Ursachen dafür nicht so sehr im permanenten Familienkrach zu suchen, der auch Kinder seelisch schwer belasten kann. Dafür spielt die psychische Verfassung aber beim Heilungsprozeß um so mehr eine Rolle. »Ein Kind, das ständig miterlebt, wie sich seine Eltern streiten, braucht länger, um gesund zu werden«, so Silbermann.

Wie groß die Belastung sein kann, wenn ein Kind ständig unter Erstickungs- und Hustenanfällen leidet, wissen viele Eltern und haben sich deshalb in Elterninitiativen und Arbeitsgemeinschaften zusammengeschlossen. Auch in vielen Gesundheitsläden und Umweltberatungsstellen stoßen betroffene Eltern mittlerweile auf fachkundigen Rat. Die AG Allergiekrankes Kind zum Beispiel berät und betreut im Gesundheitszentrum Gropiusstadt Eltern von Kindern mit Asthma und Neurodermitis und gibt ihnen Tips, wie sie ihrem Kind das Leben erleichtern können. In Zeiten, wo die vielen Kohleöfen Berlins jede Menge Staub und Ruß aufwirbeln und die Stadt im Gestank der Autoabgase erstickt, können die Beratungsstellen über mangelnden Zulauf nicht klagen. Christine Berger