Carpenters Nacht des Grauens

„Halloween“ und „Big Trouble in Little China“ heute bei Sat.1  ■ Von Manfred Riepe

Wir schreiben das Jahr 1953. Der fünfjährige Johannes Zimmermann macht große Augen. Im Kino läuft Jack Arnolds Science-Fiction-Klassiker Gefahr aus dem Weltall in 3-D. In der ersten Sequenz fällt ein riesiger Feuerball vom Himmel direkt auf die Kamera zu und explodiert direkt zwischen den Augen des schreienden Jungen. Hals über Kopf stürzte er zum Seitenausgang hinaus, machte jedoch auf der Schwelle kehrt und überlegte sich: „Das möchte ich auch mit den Leuten machen. Ich will Filme machen, die die Leute von den Sitzen reißen.“

Der kleine Johannes schaute sich also brav den Film zu Ende an. Daß er in diesem technisch simpel gemachten, friedfertigen Invasionsfilm keine weitere Szene entdeckte, die ihn vom Hocker riß, muß seinen Entschluß, Regisseur zu werden, bestärkt haben. 1968 besuchte er die auch durch ihn berühmt gewordene Filmabteilung der University of California. Zwei Jahre später ärgerte er sich über Kubricks Science-Fiction- Epos 2001 und drehte mit seinem Kommilitonen Dan O'Bannon als Erwiderung die 60.000 Dollar billige Weltraumgroteske Dark Star, die mittlerweile fast öfter im Fernsehen gelaufen ist als Casablanca. Carpenter erhielt darauf die Chance, eine Variation seines Lieblingswesterns, Rio Bravo von Howard Hawks, zu verfilmen. Assault, Anschlag bei Nacht (1976) ist ein düsterer Thriller, der von einem mysteriösen Überfall ausgerechnet auf eine Polizeistation handelt, wobei er die Nachteile des geringen Budgets geschickt in Suspense umsetzte.

Schon mit seinem nächsten Film Halloween erreichte der Liebhaber von Monstern 1978 seinen absoluten Höhepunkt. Der verhaltensgestörte Michael Myers ersticht als sechsjähriger in der Halloween-Nacht seine Schwester, schweigt 15 Jahre lang in der Klapse, flieht und metzgert in seiner Heimatstadt Haddonfield weiter, bis er von seinem Psychiater Donald Pleasence erschossen wird, scheinbar. Was in der Zusammenfassung nach einer brachialen Blutorgie klingt, wurde mit kinematographischer Feinmechanik umgesetzt. Von der ersten Szene an verweist Carpenter den Zuschauer durch die distanzlose subjektive Kameraführung gnadenlos in die Täterperspektive. Eine seltsam menschenleere Kleinstadt- Idylle wird hier zur puren Bedrohung. Am Ende vermag nur die keusche Tony-Curtis-Tochter Jamie Lee zu überleben.

Aufgrund seiner kompromißlosen Gradlinigkeit wurde Halloween zum Startpunkt einer neuen Generation von Horrorfilmen, im Jargon der Jugendschützer: „terroristisches Kino“. Eine Flut von mehr oder weniger gut gemachten Maniac-on-the- loose- und Teenager-in-Angst-Streifen überschwemmte die 80er Jahre. Carpenter selbst konnte an seinen künstlerischen Erfolg nicht mehr anknüpfen.

The Fog (1980) ist spannend, aber uninteressant. Auf seinen kommerziellen Höhepunkt (Die Klapperschlange, 1981) folgte mit The Thing (1982) der Weg in die Isolation, die durch die Steven-King-Adaption Christine (1983) und die peinliche E.T.-Paraphrase Starman (1985) noch verstärkt wurde. 1987 erreichte der einst in Hollywood als Wunderknabe Gehandelte mit dem unsäglichen Kung-Fu-Klamaukstück Big Trouble in Little China die Talsole seiner Karriere. Big Trouble in Little China und Halloween laufen heute nacheinander in Sat.1 (21.15 und 23.15 Uhr). Kaum ein Regisseur hat im Lauf seines Schaffens unterschiedlichere Filme gedreht als diese beiden.