Die Kunst, ein schlechter Mensch zu sein

■ Terry Gilliams' rasanter New-York-Film „König der Fischer“

Jack Lucas ist die Stimme. Jack Lucas ist nur Stimme. Die Kamera blickt von oben auf den Mann im Radiostudio herab, dann fährt sie auf ihn zu, sein Gesicht bleibt im Schatten, nur der Mund ist zu sehen. Die Kamera zwingt uns zuzuhören, den zynischen Worten zu lauschen, mit denen Manhattens Top-Moderator seine Anrufer schockiert. Die Stimme ist Verachtung, Drohung und Arroganz. Das Organ eines Arschlochs, das auch das Gesicht eines Arschlochs tragen muß. Als Regisseur Terry Gilliam das sprechende Ekel endlich enttarnt, breitet sich mildes Entsetzen aus: Jeff Bridges spielt die Stimme. Ein Star, ein Sympathieträger, ein Held in der Rolle eines fiesen Karrieristen. Wie soll man es damit zwei Stunden aushalten?

Jack Lucas ist ein schlechter Mensch. Einer von der Sorte, die sich dabei wohlfühlen. Man ist etwas schäbig, aber immerhin frei in allem, was man tut. Der Nachteil dabei ist, daß Jack Lucas Erfolg haben muß, um schlecht bleiben zu können. Eine Niederlage kann er sich nicht leisten. Es gibt keine Alternative, außer derjenigen, ein guter Mensch zu werden.

Doch zunächst muß Jack Lucas leiden. Ein Zuhörer seiner Sendung nimmt seine boshaften Ratschläge beim Wort, läuft mit abgesägter Schrotflinte in ein Yuppie-Restaurant und veranstaltet ein Massaker. Jack Lucas fühlt sich verantwortlich, doch nicht wirklich, denn eigentlich beschäftigt es ihn viel mehr, seine Niederlage zu verarbeiten.

Wenn man ganz unten ist, hat man plötzlich einen anderen Blick für die Welt, die einen umgibt. Jack Lucas findet sich nun von denjenigen umgeben, auf die er bisher herabblicken konnte: Gestalten in Lumpen, Bettler, Ausgestoßene, zu denen Jack Lucas Abschaum sagen würde, wenn er noch Moderator wäre. Er trifft Parry, einen ehemaligen Professor für mittelalterliche Geschichte, der durch eine Tragödie aus der Bahn geworfen wurde und sich zwischen den Lüftungsrohren eines Heizungskellers eingenistet hat. Parry sieht in den Straßenschluchten von New York wunderliche Dinge: Schlösser und Burgen, Zwerge und rote Ritter, die auf der Fith Avenue mit brennendem Schwert Attacken reiten. Als der abgehalfterte Radio-DJ erkennt, daß sein neuer Freund Parry nur deswegen so wunderlich geworden ist, weil seine Frau im Kugelhagel jenes Amokläufers starb, den Jack Lucas mit seiner Stimmgewalt auf den Weg geschickt hat, entdeckt er seine karitative Ader. Jack Lucas hilft Parry, wieder auf die Beine zu kommen, um sich selbst wieder aufrappeln zu können.

Das ist die Geschichte, doch Terry Gilliams Fisher King ist noch mehr: eine visuelle atemberaubende Reise durch phantastische Tagträume und märchenhafte Stadtlandschaften, unterlegt mit komischen Geschichten und irrwitzigen Zusammenhängen, den Grals-Mythos und die Arthur- Legende mit eingeschlossen. The Fisher King ist darin Gilliams Meisterwerk Brazil nicht unähnlich, nur daß sich die Fantasy-Welt diesmal nicht im utopischen Science-Fiction- Ambiente entfaltet, sondern im New York dieser Tage. Das läßt die Visionen realer wirken, dadurch aber auch unglaubwürdiger. So schön sich vor der verrückten Kulisse der Zehn- Millionen-Stadt von Elfen und anderen Fabelwesen träumen läßt: deren filmische Inszenierung wirkt bisweilen lächerlich. Ein roter Ritter hoch zu Roß auf nassem, neonbeleuchteten Asphalt bleibt ein aufgeblasener Gockel, vor dem sich wirklich nur einer fürchtet — Parry, der verrückte Penner.

Viel gelungener sind Gilliams abseitige Beobachtungen, wenn er Begebenheiten zuspitzt, die sich im heutigen New York tatsächlich zutragen. Da sitzt Tom Waits als Bettler im Rollstuhl und philosophiert darüber, wie er mit seiner Bettelei zur Aufrechterhaltung der Ordnung beiträgt — als moralische Verkehrsampel. Da kämpft eine unscheinbare graue Büromaus mit den Drehtüren eines Hochhauses wie Don Quichotte einst mit den Windmühlenflügeln. Und wer die Horrorgeschichte über das brutale, gewalttätige New York ernst nimmt, wird nie erfahren, wie schön es ist, nachts auf der Wiese des Central Parks zu liegen und in die Sterne zu sehen.

Terry Gilliam hat einen langen Film gemacht. Und einen schnellen dazu. Im Gegensatz zu vielen Vertretern des Action-Genres, die ein ähnliches Tempo vorgeben, es dann aber nicht halten können, gerät dieser Film niemals ins Stocken. Nur eines hält Terry Gilliam nicht durch: die Schlechtigkeit des Helden. Jack Lucas entdeckt seine Selbstlosigkeit. Zunächst sieht es so aus, als würde er die Großzügigkeit nur dazu benutzen, um sein Gewissen zu reinigen, um dann wieder niederträchtig sein zu können. Nachdem sein Freund Parry wieder halbwegs auf die Beine gekommen ist, dreht Jack der Gosse verächtlich den Rücken und nimmt seinen Job als DJ wieder an. Doch nicht lange. Terry Gilliam wünscht sich ein versöhnlicheres Ende, und alles wird gut. Schade um den fiesen Helden.

Christof Boy

Terry Gilliam: The Fisher King , mit Jeff Bridges, Robin Williams, Mercedes Ruehl u.a., USA 1991, 136 Min.