Die neuen Zaren?

■ Die nachkommunistischen Staaten Osteuropas stecken in der Krise

Die neuen Zaren? Die nachkommunistischen Staaten Osteuropas stecken in der Krise

Jelzin und Walesa — die Bilder gleichen sich: Gerade noch von der ganzen Welt als Demokraten gefeiert, entpuppen sie sich — so scheint es — als die neuen Zaren. Doch der Wunsch in Personalunion nicht nur Präsident, sondern auch Regierungschef ihrer Länder zu sein, läßt sich nicht einfach auf bloße Machtambitionen zurückführen.

Zwei Jahre nach dem demokratischen Umbruch in Osteuropa und wenige Monate nach dem Putsch in der Sowjetunion stecken die nachkommunistischen Staaten in einer Krise, die in ihren Ausmaßen selbst von den größten Pessimisten nicht vorhergesehen werden konnte. Ihre Merkmale sind nicht nur die zunehmende Verschuldung der Staatsbetriebe, Arbeitslosigkeit und Inflation. Viel entscheidender ist, daß die Bevölkerung das Vertrauen in die Fähigkeiten der Politiker verloren hat. Die Parlamente gelten als „Schwatzbude“, ihre Abgeordneten als macht- und karrierelüstern: Während das reale Durchschnittseinkommen der Osteuropäer ständig sinkt, haben sich die Politiker hohe Diäten verordnet. Und obwohl die Probleme des Landes ständig wachsen, üben sich die Parlamentarier in kleinkariertem Parteiengezänk.

Diese Zweifel an der Demokratie werden bestärkt durch die Ergebnisse des „Umbaus“. Ein Jahr nach Beginn der „kleinen Privatisierung“ in der CSFR ist der Prozeß der Versteigerungen ins Stocken gekommen; die bereits existierenden privaten Dienstleistungen unterscheiden sich von den staatlichen lediglich durch höhere Preise. Dabei stehen die größten Hürden noch bevor: in Rußland wird die Freigabe der Preise vorbereitet, in allen Ländern müssen die Staatsmonopole zerschlagen und in private Hand überführt werden. Kein Wunder also, daß Walesa und Jelzin diese Prozesse kontrollieren möchten. Das Mißtrauen der Bevölkerung gegenüber der parlamentarischen Demokratie kommt ihnen dabei entgegen. Mißtrauen haben sie aber auch gegenüber den politischen Willensäußerungen der Bevölkerung selbst. Jelzin will bis Ende 1992 Kommunalwahlen verbieten und entsprechende Posten lieber mit „seinen“ Leuten besetzen. In Polen scheint sich Walesa schon zwei Tage nach den Parlamentswahlen an deren Ergebnisse nicht mehr gebunden zu fühlen.

So ist nun ein zweiter „demokratischer Aufbruch“ nötig. Die in einem jahrzehntelangen „Kampf“ gegen das realsozialistische System „geschulten“ Oppositionellen sollten durch die Ankündigungen Walesas und Jelzins in höchste Alarmbereitschaft versetzt werden. Den Parteipolitikern sei empfohlen, das Basteln an ihren Karrieren zurückzustellen — sonst müssen sie auf diese vielleicht bald ganz verzichten. Eine Regierung der „nationalen Einheit“, wie Walesa sie jetzt fordert, scheint tatsächlich unumgänglich zu sein. Wie diese Einheit jedoch aussehen soll, dies darf nicht allein der Präsident bestimmen. Sabine Herre