: Schwarz =Schwarz
■ Desorientierung, Drogen und Elend erwarten die Schwarzen in den USA, wenn sie nicht zusammenhalten. So lautet das Credo des Filmemachers Spike Lee. Und das nicht erst seit seinem neuen Film "Jungle Fever", der heute...
Schwarz =Schwarz Desorientierung, Drogen und Elend erwarten die Schwarzen in den USA, wenn sie nicht zusammenhalten. So lautet das Credo des Filmemachers Spike Lee. Und das nicht erst seit seinem neuen Film „Jungle Fever“, der heute in den deutschen Kinos anläuft.
Paulie liest. Paulie denkt selber. Und das in einer Gesellschaft, in der die meisten Sätze aus drei Wörtern und die meisten Wörter aus vier Buchstaben bestehen. Eine Ungeheuerlichkeit. John Turturro ist ein hinreißender Schauspieler, der seinem Treiben — dem Lesen eines Geschichtsbuchs auf dem Tresen seines Kiosks — die verstohlenen Gesten der Heimlichkeit geben kann, dessen Gesicht noch Spiegel der Seele ist, auch wenn es das Laster unter scheuen Seitenblicken maskieren will. Denn einer, der selber denkt, hat den Zorn der anderen zu fürchten, die diese Kapazität aus Angst und Faulheit verkümmern ließen.
Die beiden Nebenfiguren Paulie und Orin sind die größte Zärtlichkeit, die Lee seinem Film erweist, nicht nur, weil sich zwischen dem italoamerikanischen Zeitungsverkäufer und der schwarzen Studentin eine Liebesgeschichte andeutet, sondern vor allem, weil sie neugierig sind. Die beiden gehören zu den seltenen Leuten, die sich nicht ärgern, wenn sie ein seltenes Wort in der Zeitung lesen, sondern nachschlagen und sich freuen, der selbstverschuldeten Ignoranz ein kleines Stück weit zu entrinnen.
Lee selbst scheint weniger optimistisch. Es ist, als ließe er die Geschichte von Paulie und Orin wie zur Sicherheit offen: falls es wider Erwarten doch noch eine Hoffnung gibt. Flipper (Wesley Snipes) und Angie (Annabella Sciorra) ergeht es schlechter: „I give up“, sagt der vor Ehrgeiz brennende schwarze Yuppie zu seiner weißen Sekretärin, in die er sich verliebt zu haben meinte. Greenwich Village, wo die beiden ihr Lager aufgeschlagen haben, weil sie von ihren Gemeinschaften in Harlem und Bensonhurst verstoßen wurden, mag die einzige Gegend in New York sein, die eine Mischung von Schwarz und Weiß toleriert, aber es ist, so Spike Lee, ein Niemandsland. Flippers und Angies Liebe erweist sich nicht nur als unrealisierbar. Vielleicht war es nicht einmal „Liebe“, sondern ein gegenseitiges Mißverständnis, eine Überkreuzung von Projektionen.
So erklärt es Flipper Angie: „Keine Mischung, keine Halbschwarzen, keine Viertelschwarzen, keine Achtelschwarzen“, die von den Weißen doch nur als Schwarze behandelt und je nach Grad der Tönung — übrigens auch von den Schwarzen selbst — mit unterschiedlichen Schimpfwörtern bedacht werden. „No!“, schreit Flipper am Ende des Films und umarmt ein Mischlingsmädchen, das sich ihm für drei Dollar angeboten hat, weil sie Geld für Crack braucht. Desorientierung, Drogen, Elend in jeder Form warten auf die Schwarzen, wenn sie nicht zusammenhalten. Lee hebt die Geste durch eine rasante Kamerafahrt hervor. In ihr faßt sich der Film zusammen — Lees Moral von der Geschichte. Flipper kehrt zu seiner Frau zurück, deren Haut heller ist als die der Italoamerikanerin Angie und trotzdem schwarz.
Flipper, sagt sein Vater — ein Baptistenprediger —, habe sich mit Angie „im Bett der Lust gesuhlt“. Der „Good Reverend“ aus Wichikookee, Georgia, ragt wie aus dem letzten Jahrhundert in den Film. Aus seinem Plattenspieler tönt Mahalia Jackson, an der Wand hängt ein Jesus, der weiß ist wie Papier. Der Reverend verdammt Flippers Liaison — heimlich weiß sich Lee mit ihm einig —, er erinnert dabei an die Lust des weißen Besitzers auf die schwarze Sklavin und überhaupt daran, daß die Schwarzen als einzige nicht freiwillig nach Amerika kamen. Sie lassen sich schlecht weißwaschen. Durch ihren bloßen Anblick erinnern sie das Land an seine historische Schuld — für so was wird niemand geliebt. Und da die Schwarzen nicht nur schwarz sind, sondern seit eh und je auch ganz unten, können sich alle anderen Immigranten über sie als „nicht schwarz“ definieren. Wie genau sollen sie sich in dieses Modell „integrieren“?
Lee ist von vielen weißen amerikanischen Journalisten schwarzer Rassismus vorgeworfen worden — „reverse racism“ heißt das praktische Zauberwort, mit dem man nun alles begriffen zu haben glaubt. Aber es ist komplizierter. Lee ist ein Aufklärer — falls die Metapher in diesem Zusammenhang nicht auch schon rassistisch ist. Erst mal stellt er die Probleme hin, in ihrer Abgründigkeit und auch in ihrer Komik.
Vielleicht ist es rassistisch, die Unterordnung des einzelnen unter die „Rasse“ zu fordern, die Segregation, die Abwendung vom Rest der Gesellschaft, die Schaffung eigener Infrastrukturen, wie Lee es tut. Vielleicht ist es auch rassistisch, die Vermischung zu fordern, die Aufhebung — oder den Untergang? — des anderen in der Assimilation. Darüber müßte man nachdenken. Und zwar selber. Thierry Chervel
Spike Lee: Jungle Fever , mit Wesley Snipes, Annabella Sciorra, Spike Lee, John Turturro, Anthony Quinn, USA 1991, 121 Min.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen