IWF/Weltbank: Kirchen der Moderne?

Am Reformationstag will Weltbankkritiker Budhoo neue Thesen an Wittenbergs Schloßkirche nageln  ■ Von Uwe Hoering

Als Martin Luther am 31. Oktober 1517 seine berühmten 95 Thesen an die Tür der Schloßkirche zu Wittenberg nagelte, forderte er damit die mächtigste Institution der damaligen westlichen Welt heraus, die katholische Kirche.

Die Symbolkraft des Ereignisses, das von der evangelischen Kirche als ihre Geburtsstunde gefeiert wird, will 474 Jahre später der Weltbankkritiker Davison Budhoo nutzen, wenn er heute seine Schrift Genug ist genug an dieselbe Tür schlagen wird; um eine ähnlich mächtige Instanz der heutigen Welt herauszufordern: den Internationalen Währungsfonds (IWF) und die Weltbank (s. Kasten). Und er hofft, damit das Signal zu einem ähnlich tiefgreifenden Reformationsprozeß zu geben, wie der ehemalige Mönch Martin Luther.

Der Wirtschaftsexperte Davison Budhoo war selbst zwölf Jahre lang Mitarbeiter von Weltbank und Internationalem Währungsfonds, unter anderem als IWF-Repräsentant in Guayana. Im Juni 1988 quittierte er den Dienst.

In einem ausführlichen Offenen Brief an den damaligen IWF-Direktor und heutigen IWF-Präsidenten Michael Camdessus, dessen 143seitige deutsche Übersetzung nun von der Zeitschrift 'Entwicklungspolitik‘ des Evangelischen Pressedienstes (epd) herausgebracht wird, begründete er seinen Ausstieg und warf dem IWF Fälschung von Daten und Mitverantwortung am Tod von Millionen Menschen in der Dritten Welt vor.

Seit langem weisen Kritiker darauf hin, daß Weltbank und IWF bei ihrer Kreditvergabe für Projekte und Strukturanpassungsprogramme kaum öffentlicher Kontrolle unterliegen, obwohl sie mit ihrer Vergabepolitik und den damit verbundenen Auflagen weitreichenden Einfluß auf die Wirtschaftspolitik von Regierungen, auf wirtschaftliche Entwicklungen und damit auf die Bewohner der betreffenden Länder haben.

Am Beispiel des Karibik-Staates Trinidad weist Budhoo dem IWF nach, Statistiken gefälscht zu haben, um sein Strukturanpassungsprogramm durchzusetzen. Außerdem klagt er die Bretton-Woods-Institutionen an, als Auswirkungen ihrer Strukturanpassungsprogramme und Schuldenpolitik Millionen Menschenleben auf dem Gewissen zu haben. Garniert wird das Ganze mit Einblicken in Arbeitsweise, Mitarbeiterprivilegien und selbstherrliche Entscheidungsprozesse in den Mammutorganisationen.

Eine Reform sei dringend nötig, meint Budhoo, inzwischen Geschäftsführer und Kampagnendirektor der von ihm gegründeten Bretton- Woods-Reform-Organisation mit Sitz in Grenada. Zwei Kernforderungen ziehen sich durch sein Aktionsprogramm für eine umfassende Reform der Bretton-Woods-Instituionen — eine Beendigung der „Geheimniskrämerei“ und die Ausrichtung der Politik an der Verantwortung für die Menschen der Dritten Welt.

Der Einfluß der Betroffenen selbst, insbesondere von Frauen, auf die Entscheidungen müsse verbessert werden. Gleichzeitig müßten Strukturanpassungsprogramme und Kreditvergabekriterien reformiert werden. Die beiden Bretton-Woods- Institutionen, bislang „Werkzeuge westlicher Wirtschaftsmächte und deren politischer Interessen“ (Budhoo) müssen demokratisiert werden — oder abgeschafft.

Dritte-Welt-Initiativen und Umweltschutzgruppen versuchen seit Jahren, auf die Politik von Weltbank und IWF Einfluß zu nehmen. Insbesondere im Umweltbereich haben sie damit einige Erfolge gehabt. Die Einrichtung einer Umweltabteilung bei der Weltbank, verbesserte Umweltverträglichkeitsprüfungen und spezielle Sonderprogramme zum Umweltschutz sind einige Ergebnisse dieser Bemühungen.

In einer Art Modellversuch hat Budhoo für die Verhandlungen seines Heimatlandes Grenada mit dem IWF, das seit der US-Invasion vor acht Jahen wirtschaftlich darniederliegt und dringend neue internationale Kredite benötigt, ein alternatives Strukturanpassungsprogramm entworfen, unter aktiver Beteiligung der Vertreter verschiedener Bevölkerungsgruppen.

Ziel ist, die Belastungen einer Reform gleichmäßiger zu verteilen als bei den herkömmlichen Strukturanpassungsprogrammen, bei denen die Last vor allem die ärmsten Bevölkerungsgruppen zu tragen haben. Der IWF will diese Einmischung nicht dulden: Nach Aussage des Finanzministers von Grenada gab es „äußeren Druck“, Budhoo aus den IWF- Verhandlungen herauszuhalten.