Celler Polizeistrategie bestätigt

■ Geiselnehmer besaßen brisante Sprengkörper/ Herkunft der selbst gebastelten Waffen unklar

Hannover (taz) — Über funktionsfähige Schußapparate und tatsächlich zündfähige Sprengkörper verfügten die vier Häftlinge, die in der vergangenen Woche im Celler Gefängnis drei Justizvollzugsbeamte als Geiseln genommen hatten und mit zwei von ihnen geflohen waren. In den bisherigen kriminaltechnischen Untersuchungen durch das Landeskriminalamt in Stuttgart hat sich die Gefährlichkeit der vier wahrscheinlich aus Stuhl- oder Tischbeinen zusammengebauten Schußapparate und jener drei Sprengkörper bestätigt, die die Häftlinge ihren drei Geiseln wie „Halskrausen“ umgelegt hatten. Die Untersuchungsergebnisse bestätigen damit auch im nachhinein, daß es zur Strategie der Celler Polizei, die Forderungen der Geiselnehmer weitgehend zu erfüllen, keine Alternative gab.

Nach Angaben der Celler Staatsanwaltschaft, die die Ermittlungen in Sachen Geiselnahme führt, enthielten die drei um den Hals der Geiseln gelegten Sprengkörper ein „zündfähiges Selbstlaborat“. Zwar seien die kriminaltechnischen Untersuchungen in Karlsruhe noch nicht abgeschlossen, sagte gestern die Celler Oberstaatsanwältin Siegrid Kindervater, es stehe jedoch schon jetzt fest, daß eine Zündung der Sprengkörper für die Geiseln lebensgefährlich gewesen wäre. Von den Schußapparaten sei einer sogar bei der Untersuchung in Karlsruhe detoniert, sagte die Staatsanwältin. Aus einem anderen hätte bereits einer der Geiselnehmer im letzten Stadium der Flucht offenbar versehentlich einen Schuß abgegeben.

Ungeklärt ist bisher weiterhin die Herkunft des zum Bau der Waffen und Sprengkörper verwendeten zündfähigen Selbstlaborates. Das Justizministerium in Hannover wies gestern darauf hin, daß nach einem ähnlichen Ausbruch mit Geiselnahme aus der JVA Celle im Jahre 1984 ein Gefangener Schußapparate aus Bettpfosten gebaut hatte. Trotz gegenteiliger Versicherungen der damaligen CDU-Regierung seien nach dieser Geiselnahme allerdings die zum Waffenbau geeigneten, aus Stahlrohren gefertigten Anstaltsmöbel nur zu einem Teil ersetzt worden. Das Justizministerium hat zugegeben, daß es bei zwei der Celler Geiselnehmer vorab vertrauliche Hinweise auf Ausbruchspläne gab. Auf beide Informationen hin seien die Zellen mehrfach gründlich durchsucht und auch die Kontrolle der Besucher der Gefangenen sei verschärft worden, sagte der Leiter des niedersächsischen Justizvollzugsamtes Hans-Dieter Jeserich gestern in Hannover. Die Durchsuchungen der Zellen und die gründlicheren Leibesvisitationen der Besucher hätten allerdings zu keinerlei Ergebnissen geführt. Jürgen Voges