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Festung Europa im Berliner Reichstag

Internationale Konferenz in Berlin berät über Maßnahmen gegen illegale Zuwanderung aus Osteuropa/ Erstmals auch baltische Republiken vertreten/ Proteste von Flüchtlingsorganisationen  ■ Von Andrea Böhm

Berlin (taz) — Reisefreiheit ja — Einreisefreiheit nein. Mit rhetorischen Beteuerungen über das Gut der Freizügigkeit begann gestern in Berlin die Migrationskonferenz mit Innen- oder Justizminister aus 29 Ländern — und hat doch genau das Gegenteil zum Thema: Wie lassen sich Migrations- und Fluchtbewegungen aus Osteuropa am effektivsten und am schnellsten abwehren ?

Eingeladen zu dem Treffen hatte Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU). Die Staaten der Europäischen Gemeinschaft und die EG-Kommission sowie die Schweiz und Österreich sitzen mit Polen, der Tschechoslowakei, Ungarn, der UdSSR, Russland, den drei baltischen Staaten, Weißrußland, der Ukraine, Bulgarien, Rumänien, Jugoslawien und Albanien an einem Tisch.

Zwar beteuerte Gastgeber Wolfgang Schäuble zur Eröffnung seinen Amtskollegen, daß die Berliner Konferenz „unter dem Leitsatz der Solidarität mit hilfsbedürftigen Menschen“ stünde. „Unsere Maßnahmen dienen nicht dazu, sie von uns fernzuhalten, nur damit wir in Ruhe leben können.“ Doch auf der Tagesordnung stehen keineswegs wechselseitige Appelle an die Humanität. Statt dessen will man sich über eine „Harmonisierung“ ausländerrechtlicher und polizeilicher „Instrumentarien“ verständigen, um in Zukunft die illegale Einreise von Migranten und Flüchtlingen zu unterbinden. Geplant sind unter anderem einheitliche Visumsbeschränkungen, Sanktionen gegen Transportgesellschaften, die Flüchtlinge ohne die notwendigen Einreisepapiere befördern. All dies sind Maßnahmen, die auf westeuropäischer Ebene bereits im Schengener Abkommen festgelegt worden sind und nun auch auf die Länder Mittelosteuropas, vor allem Polen, der CSFR und Ungarn ausgedehnt werden sollen.

Die Eile und der Nachdruck, mit dem das Bundesinnenministerium seine Zielvorgaben für die Konferenz formuliert, sind nicht weiter verwunderlich: Sollte, wie bislang geplant, am 1.1.1993 tatsächlich das sowjetische Reisegesetz in Kraft treten, so befürchten die Regierungen der Industrieländer, vor allem aber der BRD, daß die eigene Wohlstandsruhe gestört werden könnte. Am heutigen Abschlußtag wollen die Konferenzteilnehmer ein gemeinsames Kommuniqué verabschieden, das bereits Mitte Oktober in Wiesbaden vorbereitet wurde. Der Entwurf sieht neben den genannten Maßnahmen Schritte gegen illegale Beschäftigung, schnellere Abschiebung und mehr Kooperation der Teilnehmerstaaten an den Grenzen vor — auch durch Hilfe bei Ausrüstung und Ausbildung der Grenzschützer.

Protest gegen das Berliner Treffen haben linke Gruppen angekündigt, die eine „weitere Abschottung der Grenzen Europas“ befürchten. Auf einer Pressekonferenz legten Vertreter von Flüchtlingsgruppen eine Bilanz der Übergriffe gegen Ausländer in den vergangenen 2 Jahren vor. Sechs Ausländer seien an Mißhandlungen gestorben.

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